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Forschung & Sammlung

Liese und Miese Kurzfilme

In vermutlich etwa 10 Kurzfilmen spielten 1943/44 die beiden Schauspielerinnen Brigitte Mira und Gerhild Weber die Liese und die Miese in den Propagandafilmen des Reichsministeriums. Eugen York setzte in seinem Regiedebüt die sketchhaften Geschichten nach Drehbüchern des späteren Theaterkritikers Friedrich Luft in Szene. Idee der beiden Frauenfiguren, von denen sich eine vorbildlich und linientreu gab und die andere durch Naivität und Narretei die Regeln brach, war die Kurzfilmreihe „Tran und Helle“ aus den Jahren 1939 bis 40. Etwa zeitgleich mit den Kurzfilmen, die im Vorprogramm der Wochenschau in den Lichtspielhäusern gezeigt wurden, entstanden Karikaturen für Zeitungen und Postkarten mit dem ungleichen Figurenpaar. Mit Brigitte Mira spielte ausgerechnet eine „Halbjüdin“, die sich in der Zeit des Dritten Reichs mit gefälschten Papieren und der Unterstützung eines Gönners vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten versteckte, die Figur der Miese. Auch die Machart der respektlosen Sketche und die Sympathien der Zuschauenden mit der Miese waren nicht nach dem Geschmack des Propagandaministers. So sorgte Goebbels höchstpersönlich für eine Absetzung nach nur wenigen Episoden.


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Die genaue Anzahl der Episoden von „Liese und Miese“ ist nicht bekannt. Brigitte Mira gab diese in ihren 1988 erschienenen Memoiren mit „nicht mehr als 10“ an („Von dieser Kurzfilmserie des Propagandaministeriums wurden vermutlich nicht mehr als 10 Streifen gedreht, die als Beiprogramm der »Deutschen Wochenschau» gezeigt wurden.„). Da die Streifen nur vereinzelt erhalten und offenbar überwiegend nach dem Inhalt und nicht nach den beiden Hauptfiguren benannt wurden, lassen sie sich Titel auch nicht ohne weiteres aus historischen Programmankündigungen rückverfolgen. Bekannt ist, dass die erste Folge um Weihnachten 1943 herum gezeigt wurde. Eine letzte Folge findet sich für die Tage vom 27. Februar bis 03. März 1944 belegt. Zugleich fand am 12. März 1944 die letzte Veröffentlichung einer „Liese und Miese“ Karikatur statt. Aufgrund der Koppelung an die Aufführung der Wochenschau kann man von der Produktion von einer Episode pro Woche ausgehen. So käme man rein rechnerisch mit 10 Wochen Laufzeit ebenfalls auf etwa 10 Episoden, die mutmaßlich aufgeführt wurden. Das scheint auch vor dem Hintergrund früher üblicher Produktionsabläufe von filmischen Periodika bis in die Zeit der frühesten Fernsehserien hinein nicht unplausibel. Es ist allerdings auch denkbar, dass Wochen ausgesetzt wurden oder der Rhythmus weniger streng eingehalten wurde.


„Die Weihnachtsgans“ (1943) (auch bekannt als „Eisenbahnverkehr zu Weihnachten“) – Die allererste Folge von „Liese und Miese“ wurde in der Programmankündigung der neuen Filmreihe, die am 28.12.1943 in der Marburger Zeitung erschien, wie folgt beschrieben: „Der erste dieser Filme greift gleich ein in ein besonderes brennendes Problem, in die Frage nach der privaten Reise, und er gibt uns die Antwort, dass wir hier sowohl die Tatsache als auch die Motive achten müssen, die die Führung bewogen haben, das Eisenbahnfahren von Privaten weitgehend einzuschränken. Erst müssen wir den Krieg gewinnen, das sehen wir alle ein, zumindest in Stunden ruhiger Überlegung, dann können wir wieder leben wie vordem, aber auch nur dann.“ Die Folge thematisiert damit genau wie die zeitgleich zum Weihnachtsfest 1943 erschienenen Liese und Miese Karikaturen das private Bahnreiseverbot, welches das NS-Regime verfügt hatte.

Der Kurzfilm beginnt mit einem Mann, der am Bahnhof ein Bahnticket kaufen möchte und einer Schalterbeamtin, die ihm dieses verwehrt. In seiner Aufregung wendet er sich an einen Aufsichtsbeamten, der ihm aber ebenfalls bestätigt, dass dies alles seine Richtigkeit habe. Die Details der Regularien seien der Zeitung zu entnehmen. Genau diese ausführlichen Bestimmungen liest auch ein anderer Reisender, der sich nun in die Unterhaltung einschaltet. Auch Liese und Miese kommen dazu. Anders als zum Verständnis der Regularien brauche man zum Reisen keinen Doktortitel, sondern nur den richtigen Grund, meint die Miese. Auf Lieses Nachfrage bestätigt sie, sogar einen sehr saftigen Grund zu haben und zückt ein Telegramm: „Kriemhild sanft entschlafen. Stopp. Anwesenheit zur Beerdigung unerlässlich. Stopp,“ liest Liese vor. Die Umstehenden sprechen Miese ihr Beileid aus. Liese aber bohrt weiter nach, wer denn diese plötzlich auftauchende Kriemhild gewesen sei.

Miese zieht die Liese daraufhin von der Gruppe weg, deutet auf das im damaligen Deutschland allgegenwärtige NS-Propaganda-Plakat „Vorsicht, Feind hört mit!“ und deutet an, Kriemhild sei jung, aber gesund und rund entschlafen. Es handelt sich um eine Weihnachtsgans die sie sich von ihrem Geld gekauft hat. Liese aber zeigt ihr die Zeitung und darin steht, dass in Krankheits- und Trauerfällen immer eine polizeiliche Bescheinigung vorgelegt oder nachgereicht werden müsse. „Nicht mal einen Vogel darf man mehr haben,“ seufzt Miese und Liese entgegnet, das sei wohl „Kriemhilds Rache“. Miese aber gibt nicht auf und sucht aus der Zeitung weitere Gründe, wer reiseberechtigt ist, um dann festzustellen, dass nichts davon auf sie zutrifft. Liese räumt nun ein, dass sie ebenfalls gerne reisen wolle. Ihr Bruder liege im Lazarett, aber die Reichsbahn habe nun einmal wichtigeres zu tun. Das findet auch ein Soldat, der den Damen gelauscht hat und nun schlecht gelaunt hinzutritt. Er schimpft, dass rücksichtslose Personen wie Miese die Züge voll stopfen würden und später Munition, Verpflegung und Transport an der Front fehlen würden. Als Liese ihm Recht gibt und die heimische Wirtschaft als weiteren Profiteur der Bahn einbringt, beginnen die beiden miteinander zu flirten. Miese aber ist nicht umzustimmen und beklagt sich nach dessen Verabschiedung über den unhöflichen Mann. Ihr nächster Plan sieht es vor, Liese zu überzeugen, die einen Schwager bei der Reichsbahn habe. Mit Bestechung wolle sie die Liese dazu bewegen, ein gutes Wort für sie einzulegen. Liese aber bleibt standhaft. Einen Weg, wie die Miese nach Frankfurt käme, wüsste sie nämlich schon: Zu Fuß und über Leipzig.

Die Episode ist ein starker Auftakt zu der Propagandafilmreihe. Liese und Miese werden in ihren typischen Charakteren eingeführt, aber auch als gute fast freundschaftlich Bekannte etabliert. Miese spricht Liese gegenüber offen über ihre Tricksereien und Liese bringt sie zwar davon ab, aber verrät sie auch nicht. Durch den Witz mit „Kriemhilds Rache“, eine klare Anspielung auf das Nibelungenlied, und durch die Endpointe wird Liese als humorvoll charakterisiert. Bemerkenswert ist vor allem die Umkehr der „Feind hört mit“-Propaganda, die sich von den Nazis intendiert eigentlich gegen Regimekritiker und Spione der Kriegsgegner richten sollte, von Miese aber ohne Widerspruch der Liese auf eben dieses Regime und seine regimetreuen, bürgerlichen Denunzianten umgemünzt wird. Die versteckte Kritik der Filmschaffenden an den Auftraggebern ihrer Propaganda kommt hier besonders zum Vorschein.

Es ist höchstwahrscheinlich, dass dieser Film eine Woche lang vor der Wochenschau in der letzten Dezemberwoche 1943 (KW52/1943) gezeigt wurde. Diese Folge ist somit recht gut datierbar. Als Filmclip ist der Kurzfilm wohl nicht erhalten geblieben. Es gibt jedoch Bilder und ein Transkript der Szene, die sich z.B. bei Horbelt/Spindler finden.


„Spionage im Zug“ (1944) – Dieser Filmclip ist einer von wenigen erhaltenen Kurzfilmen der Reihe, die erhalten geblieben und sogar öffentlich auf Youtube einsehbar sind. Der erhaltene Filmclip ist knapp sechs Minuten lang. Miese und Liese sitzen einander im Zug gegenüber. Die Mitreisenden stören sich daran, dass Miese ihren Hund Robertchen mit ins Abteil genommen hat, statt ihn in den Hundeverschlag zu stecken. Kriegswichtig sei die Reise des Hundes nun ja wirklich nicht. Miese aber entgegnet, dass der Hund empfindlich und zart besaitet wäre. Liese lästert, dass Robertchen wohl viel durchgemacht haben muss, wenn er so nervös geworden ist. Miese würde lieber selbst ins Hundeabteil kriechen, statt ihren kleinen Liebling dort hinein zu schicken. Die Mitreisenden finden die Idee gar nicht so schlecht. Ein Mitreisender ergreift für Miese Partei und erklärt, dass er das gleiche Reiseziel habe. Miese erzählt, dass sie ihre Freundin in den früheren Röhrenwerken in Wenningen besucht und erklärt, dass ein Teil der Werke nun im Stadtwald untergebracht ist und die Produktion auf Flugzeugpeilgeräte umgestellt wurde. Da der Fremde sich dort nicht auskennt, zeichnet sie ihm einen Lageplan auf seine Zeitung. Der Mann bedankt sich für den erwiesenen Dienst und die Liese pflichtet ihm bei, dass ihm wohl ein Dienst erwiesen worden ist. Sie zeigt auf das „Vorsicht! Feind hört mit!“-Schild im Abteil, das Miese als Propaganda abtut. Der Mann aber gibt Liese recht. Miese mag nicht daran glauben: „Wenn der Tommy sich schon einen teuren Spion hält, ausgerechnet mit uns wird der reisen? Nee, was kann der von uns denn schon erfahren?“ Liese verweist daraufhin auf die Informationen, die Miese gerade ausgeplaudert hat. Der Mann pflichtet wieder bei, dass es besser ist, vorsichtig zu sein und entschuldigt sich für seinen Fehler, zu fragen. Bei der anschließenden Ausweiskontrolle stellt sich allerdings heraus, dass es sich bei dem Mann tatsächlich um einen britischen Spion gehandelt hat, der bereits bekannt ist und unter falschem Namen mit gefälschtem Pass reist. Liese bekommt Applaus für ihre mahnenden Worte, Miese aber sieht das Positive daran, dass der Fremde abgeführt wurde: Sie kann mit Robertchen jetzt endlich den frei gewordenen Eckplatz aufrücken. Der Filmclip kann nicht datiert werden und hat auch keine Entsprechung in den Karikaturen, jedoch eine thematisch ähnliche Postkarte, in welcher der Schattenmann auftritt. Für Brigitte Mira dürfte dieser Kurzfilm-Dreh sicherlich eine ganz besondere Bedeutung gehabt haben. Sie lebte im Dritten Reich selbst in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Auch sie arbeitete und lebte mit gefälschten Papieren, um die jüdische Abstammung ihres Vaters zu verheimlichen.


„Gerüchte“ (1944) – „Miese verbreitet hanebüchene Gerüchte über die Ernährungssituation, Liese lacht sie aus.“ Diese Zusammenfassung einer nicht erhalten gebliebenen Folge gibt Reinhard Krause in seinem Artikel für die taz (Vgl. Krause). Es gibt eine Karikatur von Hans Zoozmann, welche Liese und Miese zeigt und an die das Thema des Gerüchteverbreitens angelehnt sein könnte. Darin stehen die beiden Frauen in einer Schlange und Miese tratscht mit den anderen Frauen, während Liese sich vornehm zurückhält.


„Feldpost“ (1944) „Liese und Miese sowie ein Fronturlauber in einer gespielten Szene: Es geht um das Schreiben von Briefen an die Frontsoldaten. So sollen Sorgen und Pessimismus in den Briefen an die Front außen vor bleiben.“ (Vgl. Filmarchives). Diese Folge ist belegt als Vorfilm für die Wochenschau Nummer 703, die auf den 23. Februar 1944 datiert werden kann (Vgl. u.a. Bundesarchiv). Auch zu dieser Episode gibt es eine Entsprechung in den Karikaturen. Zoozmann lässt seine Liese eine sehr positive Feldpost schreiben, während Miese sorgenvoll und griesgrämig den Frontsoldaten eher die Stimmung ruiniert, statt diese aufzuheitern.


Weitere bekannte Handlungen: Brigitte Mira erinnert sich in ihren Memoiren an mögliche weitere Episodeninhalte: „In den Filmateliers von Babelsberg wurde ich auf mies geschminkt und musste mir von der lieben Liese erklären lassen, dass eine deutsche Frau sich schlecht verhält, wenn sie Lebensmittelmarken hortet und Feindsender abhört. Sie habe auch im Krieg höflich zum Volksgenossen zu sein.“ (Mira S. 99). Ob diese geschilderten Themen tatsächlich gefilmt und auch veröffentlicht wurden, oder vielleicht nur beispielhaft für Verfehlungen jener Zeit genannt sind, geht aus dem Kontext nicht weiter hervor.


„Auf dem Lande“ (1944) – Bei dieser Episode handelt es sich um einen erhalten gebliebenen viereinhalb minütigen Filmclip, der zudem über verschiedene Programmankündigungen aus den Zeitungen klar datierbar ist. Liese und Miese sind kriegsbedingt als Evakuierte aufs Land geflüchtet. Während Liese schon früh mit der Magd Helene aufgestanden ist und die Kinder auf den Schulweg verabschiedet, kommt die Miese herunter und beschwert sich, bei dem Krach nicht schlafen zu können. Außerdem seien ihre Schuhe noch nicht geputzt und sie möchte das Frühstück aufs Zimmer bekommen. Liese erwidert, dass sie nicht im Hotel wären. Bei 20 Mark für das primitive Ausweichquartier erwartet die Miese aber mehr Sauberkeit und gebügelte Kleidung. Die beiden Frauen diskutieren über Arbeit, die auf dem Bauernhof zu tun ist und die für den persönlichen Komfort erwartet wird und erwartet werden könne. Auch die Landluft gefällt der Miese nicht. Überall riecht es nach Kuhmist und die Vorzüge von Kühen sieht sie bisher nicht. Auch der Friseur ist zu weit weg und die Mühe der Bauern könne man kaum als solche bezeichnen, wenn es keine Extraportionen Butter oder Speck gibt. Die Bäuerin Frau Huber, die mitgehört hat, ist sauer, dass sie die Miese freundlich aufgenommen hat und sich nun solche Unverschämtheiten gefallen lassen muss. Am liebsten würde sie die undankbare Städterin wieder zurückschicken. Aber auch hier greift Liese vermittelnd ein. Sie bittet um Verständnis für die Nervösität, da die Städterinnen im Krieg schon so einiges durchgemacht haben. „Darauf habe ich gewartet,“ teilt Liese aus, „gerade wenn Sie eine Dame sein wollen, benehmen Sie sich auch dementsprechend. Ansprüche stellen kann ein jeder, aber Verständnis zeigen, sich einfügen, den richtigen Ton finden, mal ein bisschen Hand mit anlegen…“ Da wird sie schon von Miese unterbrochen, die anbietet, der Bäuerin den Korb abzunehmen, die Wurst aufzuschneiden und die Butter zu streichen. Die Bäuerin besteht darauf, dass aus ihrem Korb ein solches Frühstück nicht zu zaubern wäre. Die Miese aber besteht darauf, öffnet garstig das Geflecht und schon fliegt ihr ein lebendes Huhn ins Gesicht. Diese Folge ist datierbar auf die Tage vom 27. Februar bis 3. März 1944  (KW09/1944 bzw. KW10/1944). Die Evakuierten-Szene auf dem Land hat keine Entsprechung in den Karikaturen.

Anschließend sind keine weiteren Filme belegt. Die Karikaturen wurden jedoch noch bis zum 12. März abgedruckt, was eine bis zwei weitere Folgen theoretisch möglich macht.


Brigitte Mira als Miese & Gerhild Weber als Liese

Brigitte Mira und Gerhild Weber (aus: „Der Adler“, 1944)

Dass ausgerechnet Brigitte Mira die Rolle der Miese spielen sollte, war vielleicht Ironie des Schicksals. Vielleicht war es aber auch ein geschickter Schachzug von Regisseur Eugen York, der die Mira nach einem Ihrer Auftritte im Kabarett ansprach. Die 1910 geborene Schauspielerin und Sängerin war als Kabarettistin und Soubrette im Kabarett der Komiker angestellt, sang kecke und fröhliche Lieder und konnte ihren Vortrag mit einem lustigen und ironischen Unterton versehen. Das war auch York nicht entgangen, der in ihr die perfekte Besetzung für die freche und kecke Miese sah. So wie es für den jungen Filmregisseur seine erste Spielfilmregie sein sollte, war es für die Theaterschauspielerin die erste Filmrolle. Dabei war sie zwar erfreut über das Angebot des Films und dachte in ihrer jugendlichen Naivität gar nicht über die Dimensionen der Vereinnahmung durch die Propaganda nach. Letztlich lebte sie aber auch in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Brigitte Mira lebte mit gefälschten Ausweisdokumenten im Dritten Reich, um sich und ihren Vater, der ein russischer Jude war, zu schützen. Ausgerechnet die kleine freche Frau, die bei den Veranstaltungen des Reichskulturministeriums auftrat und später sogar auf der Gottbegnadeten-Liste der Nazis stehen würde, war im NS-Sprech eine „Halbjüdin“.

Mira war durch die Rolle in der Zwickmühle. Dass sie durch die Dialoge geschickt die Regimepropaganda unterwandern und die gewollten Sympathien verkehren könnte, konnte sie damals noch nicht wissen. Sie sorgte sich vor allem um die Entdeckung. Würde sie die Rolle ablehnen und jemand ihre Personalien prüfen, so könnte sie in ernsthafte Gefahr geraten. Freunde rieten ihr, die Rolle lieber anzunehmen, auch wenn Mira ihre Probleme hatte, sich mit der Rolle zu identifizieren. „Miese sollte natürlich negativ wirken, hässlich aussehen, ungepflegt herumlaufen, eine richtige Schreckschraube wurde da gesucht. Und ich empfand es als wenig schmeichelhaft, dass ausgerechnet ich einen solchen Typ darstellen sollte.“ (Mira, S. 98). Den Freunden gelang es, sie zu überzeugen. „Ich spielte also die Miese. In den Filmateliers von Babelsberg wurde ich auf mies geschminkt und musste mir von der lieben Liese erklären lassen, dass eine deutsche Frau sich schlecht verhält, wenn sie Lebensmittelmarken hortet und »Feindsender« abhört. Sie habe auch im Krieg »höflich zum Volksgenossen zu sein«.“ (Mira S. 99).

Brigitte Mira (1944)Brigitte Mira war sich sicher, dass sie einen Gönner und Helfer im Reichskulturministerium gehabt hatte. Ein hoher Beamter könnte von ihrem gefährlichen Spiel gewusst und seine Hand schützend über sie gehalten haben. „Er kam aus Sachsen, liebte das Theater, verehrte Schauspieler. Manchmal, wenn ich eine zu kesse Lippe riskierte, riet er mir, den Mund zu halten. […] Derselbe Mann, der mir Warnungen zuspielte, half Brigitte Horney, in die Schweiz zu gelangen, half Erich Kästner, der Arbeitsverbot hatte und in ständiger Gefahr lebte, und er half vielen anderen.“ (Mira, S.79/80).

Auch wenn Mira nie stolz auf ihre Beteiligung in den Propagandafilmen war, fand sie doch einige Genugtuung darin, ausgerechnet die Rolle spielen zu dürfen, die offen gegen alle Konventionen verstieß. Sie genoss es „in den Texten und in der Rolle der Miese alles das vom Herzen reden und spielen zu können, was in den Nazi-Jahren die Volksseele zum Überkochen brachte. So verspritzten York und Luft in den Miese-Dialogen Gift und Galle, und ich war es, die diese Dialoge loslassen musste. Und ich empfand die Miese-Rolle schließlich durchaus als eine Möglichkeit, Kritik in jener Zeit anzubringen, in der Kritik eigentlich total verboten war.“ (Mira, S. 100) Letztlich waren es York, Luft und Mira, die dafür sorgten, dass die Propaganda der Nazis nur fehllaufen konnte.

Gerhild Weber (aus: „Die Bühne“, 1941, Foto: Ufa)

Für die Rolle der Liese wurde eine Schauspielerin gecastet, die dem Idealbild der blonden Deutschen entsprach. Gerhild Weber (Jahrgang 1918) war gerade 26 Jahre alt und dem Publikum dennoch bereits als Ufa-Filmstar bekannt. Sie begann am Theater zu spielen, als sie 19 Jahre alt war und trat 1938 ihr erstes festes Theaterengagement am Greifswalder Stadttheater an. 1940 wurde sie vom Deutsche Theater Berlin übernommen und im selben Jahr für ihre erste Filmrolle als weibliche Hauptdarstellerin im nationalistischen Propagandafilm „Reitet für Deutschland“ gecastet. Sie trat auch in dem Propagandafilm „Heimkehr“ in einer tragenden Rolle neben Attila Hörbiger und Paula Wessely auf. Zum Zeitpunkt ihres Engagements für Liese und Miese galt Weber noch als Neuentdeckung und Nachwuchsschauspielerin. Der Auftritt in „Reitet für Deutschland“ hatte ihr einige Berühmtheit eingebracht. Magazine wie „Die Bühne“ oder „Das interessante Blatt“, frühe Film- und Promimagazine, berichteten regelmäßig über sie, schrieb über ihre filmischen Erfolge oder begleitete sie in den „Wurstelprater“. Als Zielbild für die Rolle der Liese konnte gelten, was Hans Lehmann über die Rolle schrieb: Sie war eine Frau „mit der schönen Offenheit im Gesicht, die das Mädchen unserer Zeit kennzeichnet“ (Vgl. Lehmann). Liese hatte in den Sketchen bei York und Luft meist die Besserwisser-Rolle und wirkte als Liese auf das Publikum zwar stets akkurat und korrekt, aber auch unangenehm belehrend.

Spielte auch Gisela Schlüter die Liese?

Das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum e.V. (DFF) nennt auf seinem Portal die als Kabarettistin und Schnellsprecherin bekanntgewordene Gisela Schlüter als Darstellerin der Liese, wodurch diese Darstellung in viele journalistische und populärwissenschaftliche Berichte übernommen worden ist. Hierzu führt der Geschichtsforscher Thomas Keplinger sachrichtig aus, dass es dafür jedoch keinerlei Belege gibt (Vgl. Kepplinger). Weder in den erhaltenen Filmen, noch aus den Originalquellen oder in der Biografie von Brigitte Mira. Seine Einschätzung, dass es sich bei Liese zumindest im bekannten und vermutlich auch im noch nicht wiederentdeckten Material ausschließlich um Gerhild Weber handeln kann, kann auch hier nur geteilt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Frauenrolle innerhalb des nur 3 Monate dauernden Engagements kurzfristig umbesetzt wurde, ist ferner als sehr gering einzuschätzen, zumal Weber sowohl in der Vorankündigung im Dezember 1943 genannt wurde, als auch im letztdatierten Film „Auf dem Lande“ im März 1944 zu sehen ist und Weber von Mira in ihren Memoiren als Drehpartnerin genannt wird. Schlüter indes ist zuletzt im Februar 1943 mit einem Gastspiel in Linz belegt und dann erst wieder nach Kriegsende. Ein Rollenwechsel der bekannten Figur und ein Wechselspiel zwei so bekannter Schauspielerinnen wie Weber und Schlüter wäre vermutlich von der Propaganda und Presse nicht unkommentiert geblieben.

Spielt Grethe Weiser die Miese?

Grete Weiser Biografie

Hans Borgelt, Autor der 1971 im Jahr nach dem Tod von Grethe Weiser erschienenen Biografie der Schauspielerin, nimmt für diese in Anspruch, die Miese verkörpert zu haben, die „Rolle einer stets meckernden, mit allem unzufriedenen ‚Volksgenossin’“ perfektioniert zu haben und durch ihre treue Fangemeinschaft aus dieser Zeit ihre komödiantische Rolle in der Filmindustrie gefördert zu haben. Obwohl regimekritische Schauspieler derartigen Projekten fern blieben, habe Weiser sich durch die miese und meckernde Rollen, die gegen das Regime rebelliert herausgefordert und angesprochen gefühlt. Weiser spielte jedoch nicht die Miese. Ob ihr als renommierte Filmschauspielerin die Rolle eventuell vor dem Engagement Brigitte Miras angeboten worden war, lässt sich nicht sagen. Es könnte sich bei der Behauptung, sie habe die Miese gespielt, um eine posthume Verwechslung des Biografen oder um bewusste Schönfärberei im Rahmen einer Falschbehauptung oder fehlerhaften Erinnerung handeln, um die Schauspielerin von etwaiger Belastung freizusprechen. Abgesehen davon, dass eine wissenschaftliche Arbeit und mindestens eine internationale Autorin diese falsche Information ungeprüft übernommen haben, hat sich diese Aussage außerhalb der Grete Weiser Biografie jedoch nicht verbreitet. Es kann ferner nicht ausgeschlossen werden, dass Grete Weiser oder Gisela Schlüter in einer anderen Rolle an der Serie mitgewirkt haben.

Die herrlich gescheite(rte) Propaganda

Wie konnte es dazu kommen, dass eine Propaganda-Kurzfilmreihe mindestens zehn Wochen lang ausgestrahlt wurde, obwohl sie die eigentlichen Propaganda-Ziele so offensichtlich unterlief und beinahe schon einer befreienden Systemkritik nahekam? Um zu verstehen, wie „Liese und Miese“, besonders Miese, zu Publikumslieblingen werden konnten, muss man sich mit dem Zielbild der Propaganda und dem Produktionsumfeld von Regisseur, Drehbuchautor und Schauspielerinnen auseinandersetzen, denen es gelang, das Komikzentrum des Publikums harlekinesk ausgerechnet mit der sich falsch verhaltenden Miese zu treffen.

Das NS-Zielbild als „weibliche Tran und Helle“

Die Vorbilder der beiden Frauenfiguren, Tran und Helle, waren die Hauptfiguren einer Filmreihe, die in den Jahren 1939 und 1940 im Rahmen der Wochenschau unter dem Titel „Tran und Helle“ in den Lichtspielhäusern lief. Die beiden Figuren sollten Verhaltensregeln für den Kriegsalltag vermitteln und das Publikum für die „Volksgemeinschaft“ begeistern. Tran war ein „Kölsches Original“, der Fehler hatte und naiv agierte. Helle war dagegen in nationalsozialistischen Sinne ein Saubermann, der sich immer korrekt verhielt. Die Folgen behandelten Themen wie Hamstern, Luftschutzkeller und Hören von Feindsendern. Sie fanden beim Ministerium und beim Publikum großen Anklang. Sie wurden im September 1940 auch nur deshalb abgesetzt, weil die Kriegsberichterstattung in der Wochenschau immer mehr mehr Raum einnahm. An diesen Erfolg wollte Goebbels mit seinem Ministerium drei Jahre später anknüpfen und gab die Entwicklung der neuen, diesmal weiblichen Stereotypen Liese und Miese in Auftrag. Die Miese entsprach dabei dem Tran und Liese dem Helle. Auch Ausstrahlungsumfeld und Themen waren vergleichbar.

Nachdem seit dem 12. Dezember 1943 bereits erste Zeitungsanzeigen mit den beiden neuen Propagandafiguren erschienen waren, sollten bald auch die Kurzfilme im Vorprogramm der Wochenschau gezeigt werden. Der Filmschaffende Hans Lehmann schrieb einen begleitenden Text, der am 14. Dezember 1943 den in Kürze erfolgenden ersten Filmauftritt von Liese und Miese im Streifen „Eisenbahnverkehr zu Weihnachten“ ankündigte und diese durch an die Vorbilder angelehnte Charaktere und das Sendeumfeld in direkte Tradition zu „Tran und Helle“ stellte.

Zwei neue Typen im Film

In einer Sondervorführung in Berlin sah man den in Kürze als Vorspann zur Wochenschau laufenden Film „Eisenbahnverkehr zu Weihnachten“. Ähnlich wie seiner­zeit die Figuren Tran und Helle als Typen des ewig nörgelnden einerseits und positiv eingestellten Menschen unserer Zeit andererseits im alltäglichen Leben beobachtet wurden, so treten hier erstmalig zwei weibliche Figuren, Liese und Miese, in Erscheinung. Liese ist das aufrechte, kluge, gerade und bejahende Mädchen der Gegenwart, die um die Schicksalsbedeutung des Ringens weiß; Miese ist die Karikatur der hysterischen, nörgelnden, meckernden Klatschbase, die nur an sich denkt und deren Verstand nicht weiterreicht als ihre Kulpnase. Liese ist mit der schönen Offenheit im Gesicht, die das Mädchen unserer Zeit kennzeichnet, Gerhild Weber. Brigitte Mira, die wir das erstemal im Film sehen – bisher entfaltete sie ihr Temperament im Kabarett der Komiker in Berlin als hervorragende Soubrette – spielt mit opfervoller Selbstüberwindung weiblicher Eitelkeit die mordshäßliche Miese. Es ist ohne Zweifel, daß die beiden weiblichen Figuren bald ebenso volkstümlich sein werden, wie es damals die beiden männlichen gewesen sind. (Das kleine Volksblatt 14. Dezember 1943)

Hans Lehmann (1906-1983) war selbst Filmproduzent, unter anderem bei den beiden antibritischen Propagandafilmen „Der Fuchs von Glenarvon“ und „Mein Leben für Irland“ und feierte 1943 mit „Maske in Blau“ und „Germanin – Die Geschichte einer kolonialen Tat“ mit Luis Trenker Erfolge. Aufgrund seiner Expertise auf dem Feld des Propagandafilms war er in der Bevölkerung bekannt. Lehmann sollte später nach Kriegsende auch selbst mit Eugen York bei dem Film „Morituri“ (AT: „Freiwild“, 1947/48) zusammenarbeiten. Auch andere Presseartikel wiesen auf den Sendestart zum Jahreswechsel hin.

Miese und Liese— ein neues Tran-Helle-Paar

In diesen Tagen beginnt das erste Exemplar einer Reihe von kurzen, in pointierter Form gebrachten Filmen anzulaufen. die sich darum bemühen. dem großen Publikum alle diejenigen Notwendigkeiten und Schwierigkeiten die der Krieg mit sich bringt, so vor Augen zu führen, wie sie gesehen werden wollen und gesehen werden müssen. Wenn wir in diesen vor der Wochenschau laufenden, ähnlich wie die Tran-und-Helle-Filme gestalteten Streifen zwei Figuren immer wieder begegnen, die sich uns sicher bald einprägen werden die vernünftige Liese und die ewig meckernde, immer alles besser wissende Miese, dann werden wir merken, daß diese Figuren alle beide zu bestimmten Zeiten in uns selbst erscheinen, sowohl die vernünftige als auch die allem Notwendigen widerstrebende, so daß diese Filme uns ein Spiegel sein werden für unser eigenes Tun, vor dem wir
häufig genug erschrecken können. (Innsbrucker Nachrichten, 24.12.1943)

Interessant an dieser Sichtweise auf die Charaktere von Liese und Miese ist, dass die stereotypen Figuren sich keineswegs exemplarisch für bestimmte Menschen verstanden wissen wollten, sondern vielmehr den Inneren Kampf mit dem eigenen Schweinehund, dem Müßiggang, Besserwissertum und Egoismus als personifizierte Facetten einer Persönlichkeit darstellen sollen. Daraus tritt der erzieherische und belehrende Auftrag der Propaganda hervor. Ein weiterer Artikel fügt unter anderer Überschrift noch einen Absatz über den ersten Kurzfilm hinzu:

So spricht Liese, so meckert Miese

Wir sehen zeitgemäße Kurzfilme

In diesen Tagen beginnt das erste Exemplar einer Reihe von kurzen in pointierter Form gebrachten Filmen anzulaufen, die sich darum bemühen, dem großen Publikum alle diejenigen Notwendigkeiten und Schwierigkeiten, die der Krieg mit sich bringt, so vor Augen zu führen, wie sie gesehen werden wollen und gesehen werden müssen. Wenn wir in diesen vor der Wochenschau laufenden, ähnlich wie Tran- und Helle-Filme gestalteten Streifen zwei Figuren immer wieder begegnen, die sich uns sicher bald einprägen werden, die vernünftige Liese und die ewig meckernde, immer alles besser wissende Miese, dann werden wir merken, daß diese Figuren alle beide zu bestimmten Zeiten in uns selbst erscheinen, sowohl die vernünftige als auch die allem Notwendigen widerstrebende, so daß diese Filme uns ein Spiegel sein werden für unser eigenes Tun, vor dem wir häufig genug erschrecken. Der erste dieser Filme greift gleich ein in ein besonderes brennendes Problem, in die Frage nach der privaten Reise, und er gibt uns die Antwort, daß wir hier sowohl die Tatsache als auch die Motive achten müssen, die die Führung bewogen haben, das Eisenbahnfahren von Privaten weitgehend einzuschränken. Erst müssen wir den Krieg gewinnen, das sehen wir alle ein, zumindest in Stunden ruhiger Überlegung, dann können wir wieder leben wie vordem, aber auch nur dann. (Marburger Zeitung, 28.12.1943)

Die Liese und Miese Filme in der Rezeption

Miese war in der Lage, sich genau wie Tran bei „Tran und Helle“ so einiges herauszunehmen. Liese, die Vorzeige-Deutsche drohte ihr zwar immer wieder Konsequenzen bis hin zum Kittchen an, doch die Verfehlungen der Miese qualifizierten diese kaum zum subversiven Staatsfeind. Die Figur war viel mehr als im Sinne des Nationalsozialismus schlechter Charakter personalisiert, die auf den Weg der Besserung gebracht werden kann. Dabei waren ihre Aussagen und Handlungen so von Naivität und Narrentum gezeichnet, dass selbst die Liese darin keine politischen Akte sehen konnte. „Heute wirken die Kabbeleien zwischen den Freunden Tran und Helle und Mieses Leichtsinn gegenüber ihrer dynamischen Nachbarin Liese irritierend offenherzig. Eine latente Gefährdung ist in beiden Serien zwar spürbar, letztendlich aber sind Tran und Miese als Figuren so unbedarft gezeichnet, dass sie schwerlich Musterbilder des Widerstands abgeben konnten.“ (Vgl. Krause)

Das qualifiziert zwar noch keinen politischen Widerstand, aber es erklärt, warum die Ziele des Propagandaministers von Miese und Liese nicht erfüllt werden konnten. Das Publikum sympathisierte gewaltig mit der nahezu clownhaften Miese, in der jeder den inneren Schweinehund erkennen konnte. Das vermeintlich hässliche und fehlerhafte hatte in den Augen des Publikums mehr Charakter als die oberlehrerhafte linientreue Liese, die aus dem Gros der Figuren nur dadurch herausstach, dass sie in allen Filmen dabei war und einen Namen hatte, der sich auf die Miese reimt. Die Wirkung auf das Publikum erkannten auch die Filmschaffenden. „[Eugen] York, dessen Familie aus Russland stammte, und [Friedrich] Luft waren sich völlig im Klaren darüber. was sie taten. Sie erkannten aber auch die Chance. sich – natürlich ideologisch verpackt – in den Texten und in der Rolle der Miese alles das vom Herzen reden und spielen zu können, was in den Nazi-Jahren die Volksseele zum Überkochen brachte. So verspritzten York und Luft in den Miese-Dialogen Gift und Galle,“ erinnerte sich Brigitte Mira in ihren Memoiren (Vgl. Mira, S. 99-100). Das fiel nach einigen Wochen auch Goebbels und seinem Ministerium auf. Nachdem der Minister die ersten Filme gesehen und von der Fraternisierung des Publikums mit der Miese gehört hatte, setzte er die Propagandareihe ersatzlos ab.

Wurden die Propaganda-Ziele gezielt unterlaufen?

Ein gebürtiger Russe, ein Sohn einer schottischen Mutter und eine Halbjüdin mit gefälschten Papieren. Die Umstände des Produktionsumfeldes von „Miese und Liese“ sind bereits eine erzählenswerte Geschichte in sich selbst. Die Produktion von „Liese und Miese“ war eine spannende Gradwanderung zwischen Sündenfall hin zur NS-Propaganda und einer ungestraft offenen und zugleich geschickt im Sichtbaren versteckten Systemkritik. Die Miese durfte aussprechen, was im Reich sonst niemand ungestraft sagen durfte und sprach der Bevölkerung aus der Seele. Sie durfte sich entgegen alle Konventionen verhalten und war dabei nicht als Unsympatin oder als ein Bösewicht wie der Kohlenklau gekennzeichnet. Miese zeichnete sich durch Naivität und absolute Narrenfreiheit aus. Für die Dialoge und Drehbücher zeichnete der spätere Feuilletonist und Theaterkritiker Friedrich Luft verantwortlich. Mit Eugen York führte ein Regie-Neuling Regie und ausgerechnet die Schauspielerin der Miese war die Tochter eines Juden, die nur durch gefälschte Papiere unerkannt blieb und ihre Schauspielkarriere öffentlich fortführen konnte.

Regisseur Eugen York, der mit der Erstellung der Filmreihe beauftragt war, war seit 1937 als Filmeditor und Regie-Assistent für Universum Film tätig gewesen und wirkte dort auch an einigen propagandistischen Filme, Lehr- Kultur- und Industriefilme über die Städte Münster und Danzig, die Entwicklung des Bleistifts, Filme über Arbeiter, Bauern und Brandbomben, sowie eine Dokumentation über Tuberkulose. Durch die Bekanntschaft mit dem avantgardistischen Dokumentarfilm-Regisseur Walther Ruttmann wechselte er als Schnittmeister ins Dokumentarfilm-Genre. Das Engagement bei „Liese und Miese“ war für den 1917 im russischen Zarenreich geborenen York das erste Engagement als Regisseur für eine Filmreihe mit Spielfilmhandlungen. York war es, der Brigitte Mira nach einer Vorstellung am Kabarett als Schauspielerin für seine Kurzfilme anfragte. Die Texte schrieb Friedrich Luft. York und Luft hatten bereits bei dem Kurz-Dokumentarfilm „Brandbomben und Entstehungsbrände“ (1942/43) zusammengearbeitet, bei dem der spätere Theaterkritiker und Feuilletonist ebenfalls das Drehbuch beisteuerte.

Über die Bedeutung Lufts für den Erfolg und Misserfolg der Propagandaserie sagte Brigitte Mira einmal in einem Interview: „diese Serie ging völlig in die Hose. Denn die Wirkung war gegenteilig zu dem, was man damit beabsichtigt hatte. Als dieser Herr Goebbels das gehört hat, hat er das Ganze dann ja auch sofort gestoppt. Nun, dass das nicht seiner Intention entsprochen hat, war freilich kein Kunststück, denn den Text hatte ja immerhin Friedrich Luft verfasst.“ (Vgl. Mira/Kastan, zu einer ganz anderen Einschätzung kommt Krause). Die Chemie zwischen den drei Filmschaffenden stimmte und so entstanden freche, kecke Kurzfilme, in denen Mira ihr komödiantisches Talent ausspielen konnte. Über Gerhild Weber schweigt sich Brigitte Mira in ihren Memoiren derweil weitgehend aus. Nach nur drei Monaten beendete Goebbels aber das Experiment „Miese und Liese“ wieder, als er die ersten Filme angeschaut und von den Reaktionen des Publikums gehört hatte.

Leben nach der Propaganda

Trotz des Misserfolgs der Propaganda gingen alle Beteiligten unbeschadet daraus hervor und mussten sich auch nach dem Krieg nicht für die subversiven Machenschaften schämen, die Propaganda so erfolgreich konterkariert zu haben. Mira war jedoch die einzige, die über diese Zeit sprach. Ab 1944 drehte Eugen York den Liebesfilm „Heidesommer“ als ersten abendfüllenden Spielfilm, der jedoch aufgrund der fortschreitenden Kriegshandlungen nicht mehr aufgeführt werden konnte. Nach dem Krieg dreht er mit dem Produzenten Artur Brauner den Spielfilm „Morituri“, der sich als einer der ersten in Westdeutschland mit der unmittelbaren Vergangenheit des Nationalsozialismus auseinandersetzte und Themen wie Krieg, Judenverfolgung und Konzentrationslager thematisierte. In den 1950er Jahren inszenierte York mehrere Filme mit Hans Albers in der Hauptrolle und einige Kriminalfilme unter anderem mit Joachim Fuchsberger. Anschließend arbeitete er vermehrt für das Fernsehen und inszenierte Vorabendserien wie „Sie schreiben mit“, „Stewardessen“ und „Gewagtes Spiel“. 1976 kehrte York noch einmal mit „Das Gesetz des Clans“ ins Kino zurück. Er inszenierte auch drei Folgen der Krimiserie „Ein Fall für zwei“ in den Jahren 1983 und 1984. Während seiner Karriere als Regisseur drehte er insgesamt 35 Filme. Kurz vor seinem 79jährigen Geburtstag verstarb Eugen York in Berlin.

Friedrich Luft wurde ein bedeutender Feuilletonist und Theaterkritiker, der vor allem durch seine Radioshow „Die Stimme der Kritik“ beim Rundfunksender RIAS bekannt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte Luft seine Karriere als Journalist fort und wurde Feuilletonchef der Neuen Zeitung, einer von den USA besetzten Zeitung in Berlin. Er schrieb Theater- und Filmkritiken und hatte auch eine eigene Radioshow, in der er über Berliner Theaterpremieren berichtete. Auch Friedrich Luft wurde 79 Jahre alt.

Brigitte Mira startete nach dem Zweiten Weltkrieg eine großartige Film- und Fernsehkarriere und wurde eine der bekanntesten und beliebtesten Schauspielerinnen der Nachkriegszeit. Ihre Beteiligung an den Propagandafilmen sah sie trotz aller gewollten Subversivität nicht unkritisch, da ihr bewusst war, dass sie unter anderen Umständen durch ihre Zusage zur Produktion auch leicht hätte instrumentalisiert werden können. Auch hätte sie wohl gerne aktiver gegen das Regime angekämpft, dem sie sich aus Jugend und Angst um das eigene Leben und um den Vater nicht entgegentreten konnte und das sie noch 1944 sogar auf die Gottbegnadeten-Liste setzte. Dies mag für sie der Anlass gewesen sein, das Kapitel in ihrer 1988 erschienenen Biografie nicht auszusparen und in ihrem Lebenslauf nie mehr still zu sein, sondern sich für die guten und richtigen Sachen immer klar zu positionieren und stark zu machen. „Die Lehre, die ich aus dieser Erfahrung zog, war, dass ich mich zwar später nicht vor irgendeinen politischen Karren spannen ließ, dass ich mich aber anderweitig engagierte, wo ich eine Sache mitvertreten wollte. Durch jüngere Kollegen und durch meine Söhne habe ich gelernt, meine Sinne zu schärfen und den Mund aufzumachen, wo ich es für notwendig und wichtig halte. So bin ich bei Veranstaltungen aufgetreten. bei denen ich der Meinung war, dass sie einer guten und wichtigen Sache dienlich waren.“ (Vgl. Mira, S. 100). Mira lebte bis 2005 in Berlin, wo sie kurz vor ihrem 95. Geburtstag verstarb und bis heute in Erinnerung ist.

Nur Gerhild Weber, welche die Liese gespielt hatte und ebenfalls ab 1944 auf der Gottbegnadeten-Liste stand, wurde den Makel ihrer Verbundenheit mit dem Regime des Dritten Reichs und ihren unzähligen Engagements im Propagandafilm zeitlebens nicht mehr los und war als belastet gebrandmarkt. Sowohl die Filmbrache, als auch das Theater scheuten nach 1945 die Zusammenarbeit mit der einst so bekannten und erfolgreichen Schauspielerin, die als regimetreu galt. In den 1950er Jahren arbeitete sie für den NWDR, ab den 1960er und 70er Jahren hatte sie vereinzelte Engagements in Cuxhaven und Lübeck sowie bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. Weber verstarb 1996 im Alter von 78 Jahren.


„Kohlenklau“-Übersicht | Liese und Miese


Quellen und weiterführende Literatur

  • Dr. Hans Lehmann: „Zwei neue Typen im Film“, in: „Das kleine Volksblatt“ vom 14.12.1943, S. 5; sowie in: „Illustrierte Kronen Zeitung“ vom 14.12.1943, S. 5
  • „Miese und Liese – ein neues Tran-Helle-Paar“, in: „Insbrucker Nachrichten“ vom 23.12.1943, S. 4
  • Steirischer Heimatbund (Hg) / Redaktion der Marburger Zeitung: „So spricht Liese, so meckert Miese. Wie sehen zeitgemäße Kurzfilme“, in: „Marburger Zeitung“ vom 28.12.1943, S. 3
  • Rainer Horbelt, ‎Sonja Spindler: „Wir hamsterten, hungerten und überlebten. Zehn Frauen erzählen Erlebnisse und Dokumente. Oma erzähl mal was vom Krieg“ (1983), S. 76-85, später wieder veröffentlicht unter dem Titel „Oma erzähl mal was vom Krieg: Zehn Frauen erinnern sich“ (1986)
  • „Bist Du’s oder bist du’s nicht? Kleine Propagandafiguren mit großen Kriegsaufgaben“, in „Der Adler. Luftwaffe Magazin“ Heft 05/44 vom 07.03.1944
  • Thomas Keplinger: „1943/1944 – Die Liese und die Miese“, auf dem Blog „Worte im Dunkel“, veröffentlicht am 14.12.2019 (Stand 26.01.2021), abgerufen am 04.01.2022
  • Vorfilm zu „Die Deutsche Wochenschau (703 / 10 / 1944)“, zitiert nach Datenbankeintrag in Filmarchives-Online, datiert nach Web Archive auf den 23.02.1944; so auch Peter Buchner: „Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs Band 8: Wochenschauen und Dokumentarfilme
    1895- 1950“, im Bundesarchiv (Nachdruck 2000), abgerufen am 07.01.2023
  • „Liese und Miese auf dem Land“, Programmankündigungen in „Das kleine Volksblatt“ vom 27.02.1944, S. 12; „Illustrierte Kronen Zeitung“ vom 27.02.1944, S. 12; „Völkischer Beobachter“ vom 27.02.1944, S.6; vom 28.02.1944, S. 5; vom 29.02.1944, S.7; vom 01.02.1944, S.5; vom 02.03.1944, S. 7; vom 03.03.1944, S. 7
  • Hans Borgelt: „Grethe Weiser. Herz mit Schnauze“ (1971), Blanvalet Verlag (Berlin), S.133; dazu auch Jo Fox: „Filming Women in the Third Reich“ (2000), Berg (Oxford und New York), S. 140
  • Brigitte Mira: „Kleine Frau, was nun? Erinnerungen an ein buntes Leben“, Herbig Verlag 1988, S. 98-100 (Erinnerungen an den Dreh) und S. 262 (Anzahl der Filme)
  • „Brigitte Mira, Schauspielerin, im Gespräch mit Klaus Kastan“, in: „alpha Forum“, Sendung vom 23.10.2000, 20.15 Uhr, Transkript auf BR Online, abgerufen am 09.01.2023, S. 9
  • Reinhard Krause: „Mosern fürs Reich“, in: „taz am Wochenende“ vom 27.01.2001, im Online-Archiv der Zeitung, abgerufen am 09.01.2023
  • Helli Meyer: „Der Zaun. Eine kleine Geschichte um das Bild eines Mädchens“, in: „Die Bühne“ Heft 4/1941, S. 16

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