Der Name Erwin Kühlewein ist unweigerlich mit Lurchi, dem Werbemaskottchen von Salamander verbunden. Der Prokurist der Firma Salamander war von 1951 bis 1964 der Texter der Lurchihefte 6 bis 29, die unter den beliebtesten Lurchi-Geschichten in der Ära des Zeichners Heinz Schubel zu verorten sind. Auch wenn Kühlewein mittlerweile viel Anerkennung erhält, die ihm seitens Salamander für sein Wirken zeitlebens leider weitgehend verwehrt geblieben ist, ist sein Lebenslauf bisher noch weitgehend unbekannt. Hier haben die Lurchiforscher Werner Fleischer und Dietwald Doblies jedoch dankenswerter Weise einiges an Vorarbeit geleistet, was auch der wiederholten Auskunftsbereitschaft seines Sohnes Claus Kühlewein zu verdanken ist.
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Franck Reklamemarke: Gereimte Zwergengeschichte
Erwin Kühlewein wurde am 13. März 1915 in Ludwigsburg geboren. Nach der Schule absolvierte er in seiner Heimatstadt eine Banklehre bei der Bausparkasse GdF Wüstenrot. Sein erster Arbeitgeber war die ortsansässige Heinrich Franck Söhne OHG. Franck war das weltweit größte Unternehmen für Kaffeeersatz aus der Zichorienwurzel sowie aus Getreide unter den Marken Mühlenfranck und Kornfranck sowie ab 1929 auch Karo-Franck, einem namentlichen Vorläufer des Caro-Kaffees. Heute kennt man Franck vor allem noch auf dem Sammlermarkt für seine frühe Werbung mit Märchenheften als Beigabe zum Einkauf und für seine Reklamemarken, auf denen unter anderem Frösche und Zwerge in humorvollen Szenen und mit gereimten Bildunterschriften für Erheiterung sorgten. Kühlewein zeichnete jedoch damals noch nicht für die Werbung verantwortlich, sondern war in den 1930ern für das Unternehmen als Außendienstler im Raum München unterwegs.
Im Dritten Reich änderten sich die Lebensumstände für alle Bürger drastisch. Umso mehr, als 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Im Laufe der Kriegsjahre wurde Kühlewein von der Wehrmacht eingezogen und musste als Offizier ander Westfront kämpfen. Dort geriet er nach der Landung in der Normandie 1944 in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach zwei Jahren 1946 entlassen wurde. Das Deutschland, in das er zurückkehrte war ein anderes als das, das er verlassen hatte. Die Alliierten hatten landesweit rund 2.500 Betriebe demontiert und die Wirtschaft auf auf die Hälfte des Vorkriegsniveaus zurückgeschraubt. Fabriken, Geschäfte und Wohnhäuser waren im Krieg zerstört worden. Territoriale Fragen waren noch ungeklärt. Bei den Alliierten hatte aber auch ein Umdenken eingesetzt. war 1945 noch die Devise, alles zu unterlassen, was die deutsche Wirtschaft wieder erstarken lassen könnte, setzte sich zunehmend die Einsicht durch, dass ein blühendes Europa eine stabile und produktive deutsche Wirtschaft brauchen würde. Zu Franck kehrte Kühlewein indes nicht zurück. Das Unternehmen hatte zwar nach einem kriegsbedingten Umzug nach Berlin mittlerweile seinen Standort Ludwigsburg wieder stärker im Fokus, aber das Geschäft der Kaffeesurrogate war in der Nachkriegszeit rückläufig.
Stattdessen trat Kühlewein 1948 in die Dienste der Salamander AG in Kornwestheim ein, das nur einen Steinwurf von Ludwigsburg entfernt liegt. Hier sollte rückblickend der Wirkungsschwerpunkt seines Lebens liegen. Bereits 1950 übernahm er die Rolle des Prokuristen und Werbeleiters, eine Position, in der er für die gesamte Werbung der Firma verantwortlich war. In dieser Position erkannte er die große Bedeutung von Kundenbindungsmaßnahmen und das Potenzial, welches hinter den Lurchi-Heften steckte. Die Abenteuer des Feuersalamanders Lurchi waren als kleine grüne Hefte um 1936/37 bis zum Kriegsausbruch 1939 gedruckt worden, um die Kinder für Salamander-Schuhe zu begeistern. So entschied er 1951 die fünf Vorkriegshefte beim Belser Verlag Stuttgart nachdrucken zu lassen. Dabei gab es allerdings zwei Probleme. Die Original-Druckplatten waren im Krieg zerstört worden und Lorenz Pinder, der Zeichner Lurchis, hatte den Krieg nicht überlebt. Ein unbekannter Zeichner pauste daher die Hefte ab, war aber zeichnerisch nicht in der Lage, die Reihe fortzusetzen.
In einem Wettbewerb der Vereinigten Kunstanstalten Kaufbeuren, welche die neue Hausdruckerei der Salamander-Werke werden sollten, wurden Zeichner gesucht, die die Fähigkeit besaßen, Lurchi neues Leben einzuhauchen. Daran beteiligte sich auch der Salamander-Hausgrafiker Franz Weiß. Die Wahl fiel jedoch auf den erfahrenen Kinderbuch-Illustrator und Werbegrafiker Heinz Schubel, der bei den Kunstanstalten in Lohn und Brot stand und anders als Franz Weiß anonym zeichnete. Dem Auftraggeber Salamander wurde nicht mitgeteilt, wer genau hinter den neuen Lurchi-Heften steckte. Kühlewein war aber mehr als nur der Werbeleiter. Er war es auch, der die Lurchi-Hefte mit Abenteuergeschichten und Reimen versorgte. An Lurchi konnte er seiner kreativen Ader freien Lauf lassen. Aus Kosten-Nutzenabwägungen hatte Salamander bereits ab dem Nachdruck des fünften Heftes von 12 auf 8 Seiten gekürzt.
Erwin Kühlewein textete die Lurchihefte 6 bis 29 und schuf somit einige der ikonischsten Lurchi-Geschichten. Nur ein geringer Teil seiner Geschichten waren im Zeitgeist der 50er und 60er Jahre geschrieben und enthielten Wörter oder Darstellungen zu Naturvölkern (Afrikaner, Aboriginees), die man bei Salamander im Rahmen späterer Nachdrucke abänderte. Lurchis Abenteuer waren dabei teils reiselustig, teils alltagsnah und nicht selten vom Leben Kühleweins und seiner Familie inspiriert. Getextet wurde im „Weinberghaus“ der Familie bei Markgröningen im Glemstal, wo die Kühleweins unter den benachbarten Weinbergsbauern ihre Wochenenden verbrachten.
Dort spielt auch die Geschichte „Lurchi im Weinberg“ (Hefte 18 und 19). Als Sohn Claus im Winter aus einer zugefrorenen Pfütze einen toten Frosch ins Haus bringe und ihn durch Auftauen wiederbeleben möchte, inspiriert dies den Vater dazu, Frosch Hopps auf die gleiche Art von Lurchi retten zu lassen. Auch das Weinberghandwerk wird kindgerecht adaptiert. Unkerich und Hopps werden zum „Wengertschütz“. Diese Symbolfigur des Weinberghüters zieht im Herbst bis zur Traubenlese durch die Weinberge und verscheucht mit Böllerschüssen und einer Rätsche Vögel, Dachse und anderes Getier. Bei Lurchi sind es Stare, welche die Trauben rauben wollen, was Unkerich mit gekonnten Schüssen und Hopps mit der Ratsche zu verhindern wissen. Auch das frühjährliche Pfählen der Weinbergtrassen, das Pflügen und Spritzen wird von Kühlewein aufgegriffen. Auch die Wassermühle aus Heft 11 und die Campingfahrt in Heft 20 haben ein solches reales Vorbild: die Familienferien im Bayrischen Wald in Saulburg und ein Zelturlaub in Italien Ende der 1950er Jahre.
Doch auch die Salamander-Werke kamen in den Lurchi-Heften vor. Die Abenteuer in der Schuhfabrik in Heft 15 lassen Lurchi auf Firmenchef Jakob Sigle Junior treffen. Die Zeichnungen der Fabrik sind von Schuble aufgrund von Fotos originalgetreu entstanden. Lurchis Freund Mäusepiep gerät dabei mit seinem Mauseschwanz in eine Steppmaschine und muss von Schwester Lina behandelt werden. Lina gab es wirklich und sie war bei Salamander für die Werksangehörigen, aber als Sozialleistung auch für deren Kinder da. Auch die Werksfeuerwehr, die ihren Auftritt im Heft hatte, gab es wirklich. Bei einer Übung durfte Kühleweins Sohn Claus sogar einmal den Alarm auslösen. Kein Wunder, dass die Salamander-Begeisterung groß war und der kleine Claus schon 1952 als Lurchi zum Fasching gehen durfte.
Die Kinder Claus und Brigitte waren es auch, die die Lurchi-Hefte zu einer Familienleistung machten. Regelmäßig wurden sie vom Vater als Testpublikum eingesetzt. Verstanden sie einen Teil der Formulierungen nicht, wurde die Geschichte umformuliert oder abgeändert. So gelang es Erwin Kühlewein, hochwertige Reime für junge Rezipienten derart zu schaffen, dass diese ihre bestmögliche Wirkung entfalten konnten. Besonders stolz war die Familie Kühlewein, dass Lurchis Hefte als Lesefibeln an Grundschulen eingesetzt wurden, denn nach dem Krieg waren ideologiefreie Schulbücher Mangelware und die Schulen hatten denkbar schlechte finanzielle Ressourcen. Dies war auch der Grund, weshalb sich die Druckerei beim Kultusministerium die offiziellen Schulbuch-Schreibschriftarten besorgte.
Dass Heft 15 überhaupt in der Schuhfabrik spielte, hatte einen sehr realen Hintergrund. Anders als man vielleicht denken könnte, handelte es sich nicht um Selbstdarstellung oder Marketingzwecke der Salamanderwerke. Die Firma versuchte mit allen Mitteln, Kontakt zu dem unbekannten Zeichner aufzubauen und Heinz Schubels Identität herauszufinden. Die wurde von den Kunstanstalten jedoch geheim gehalten und selbst eine Verfolgungsfahrt des Druckereichefs Bernhard Hering brachte keine Klarheit. Zu dem Termin in der Fabrik Anlässlich des Heftes 15 kam auch nicht wie erhofft der Zeichner, sondern es wurden nur Fotos erstellt. Erst als die Zusammenarbeit mit der Druckerei aufgekündigt war, nahm Heinz Schubel von sich aus Kontakt mit der Schuhmarke auf.
Dem Duo Schubel-Kühlewein ist es zu verdanken, dass Lurchi heute so erfolgreich ist. Ob Schubel und Kühlewein sich jemals getroffen haben, darüber gehen die Erinnerungen des Zeichners (Heinz Schubel 1985: ja) und des Sohns des Texters (Claus Kühlewein 2010: nein) auseinander. Salamander fürchtete wohl ebenfalls, dass beide zusammen sich selbstständig machen könnten. Sehr abwegig scheint das nicht, da sogar Ralf Kauka versuchte, Kühleweins Texttalent für seine Fix und Foxi Hefte zu gewinnen. Das war allerdings wohl, nachdem Erwin Kühlewein Salamander im Jahr 1964 verlassen und Richard Pfitzer ihn als Werbeleiter beerbt hatte. Der begnadete Texter fühlte insbesondere seinen kreativen Beitrag zu Lurchi innerhalb der Firma nicht ausreichend gewürdigt. Fast selbstverständlich wurde vorausgesetzt, dass er die Lurchi-Abenteuer kostenlos in seiner Freizeit textete. Dabei hatte das Erfolgsheft längst Auflagen von bis zu 2,75 Millionen Exemplaren je Ausgabe erreicht.
Schubel musste ab Heft 30 (so die Erinnerung Kühlewein 2020) oder Heft 31 (so die Erinnerung Schubel 1985) alleine weiterdichten. Erwin Kühlewein übernahm die Geschäftsführung der Vorlo Getränke GmbH in Aspach-Rietenau, der wie sein vorheriger Arbeitgeber Franck (mittlerweile Franck & Kathreiner) zur Nestlé Gruppe gehörte. Auch neben dem Beruf engagierte er sich für die Region und gehörte dem Verkehrsausschuss der IHK Stuttgart an. Seinen großen Traum, im Ruhestand zu Lurchi zurückzukehren oder sich durch schreiben und malen kreativ zu verwirklichen, konnte er nicht mehr umsetzen. Im Alter von nur 56 Jahren verstarb Erwin Kühlewein am 12. November 1971 in Stuttgart. Was von ihm bleibt, ist sein Vermächtnis. Generationen von Kindern hat er mit seinen Lurchi-Abenteuern begeistert. Bis heute werden seine Reimgeschichten in den Lurchi-Sammelbänden nachgedruckt und endlich hat die Lurchi-Forschung ihn in einer späten Ehrung als den bedeutendsten und besten unter den Textern anerkannt.
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Quellen und weiterführende Literatur
- Eigene Sammlung und Recherchen
- Claus E. Kühlewein: „Viele Lurchi-Geschichten beruhen auf wahren Begebenheiten. Schubels Autor Erwin Kühlewein im Portrait.“, in: „Werner Fleischer: „Die Lurchi-Chronik, Teil 2: Heinz Schubel und Erwin Kühlewein – das Dreamteam“, in: „Die Sprechblase“ Nr. 220 / Dezember 2010, dort S. 52-54
- Claus E. Kühlewein: „Erwin Kühlewein – Lebensstationen von Erwin Kühlewein, Lurchitexter 1953–64, erzählt von seinem Sohn Claus Kühlewein“, Gastbeitrag auf der Website des Lurchi-Zeichners Dietwald Doblies, archiviert am 31.10.2020, abgerufen am 21.07.2024
- Dieter Böhm: Interview mit Heinz Schubel, in: Comicstern 14 (1985), S. 11-12
Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!
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