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Forschung & Sammlung

Celle – Schuhgeschäft Löwenstein

Das Schuhwarengeschäft Löwenstein (ehemals und später wieder Schuhhaus Behr) in der Zöllnerstraße 5 in Celle hatte ab 1933 das Celler Alleinverkaufsrecht für Salamander-Schuhe inne. Seit 1910 war Jakob Löwenstein der Inhaber des Geschäfts, welches er es von seinem Schwiegervater, dem Kaufmann Aaron Behr übernommen hatte. Ab 1936 trat sein Sohn Erich Löwenstein 1936 als Gesellschafter in das väterliche Geschäft ein. Doch während des Dritten Reichs wurde das Geschäft von den Boykott-Kampagnen gegen jüdische Geschäfte betroffen, was dazu führte, dass die Löwensteins ihr Geschäft noch vor dem Pogrom verkaufen und emigrieren musste. Jakob Löwenstein, der mit seiner Frau nach Hannover gezogen war, starb Ende 1940 als im Arbeitslager der Munitionsfabrik Liebenau. Die Löwensteins teilen ihren Nachnamen mit dem berühmten Berliner Gebrauchsgrafiker Joel Loewenstein, der unter dem Pseudonym „Joe Loe“ unter anderem auch für Salamander tätig war. Anders als in einem Fachaufsatz aus dem Jahr 2014 vermutet, besteht jedoch keine bekannte verwandtschaftliche Verbindung.


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Zöllnerstraße in Celle (um 1930) – am hinteren Ende der Straße befindet sich das Schuhwarengeschäft Löwenstein

Die Zöllnerstraße ist bis heute eine der besterhaltenen Fachwerkstrassen in der Celler Innenstadt und zugleich die bedeutendste und bekannteste Einkaufsstraße in Celle, die aufgrund ihrer Fachwerkhäuser viele Touristen anzieht. Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es in der Zöllnerstraße 5 ein Geschäft für Oberbekleidung und Schuhe, das dem Celler Kaufmann Aaron Behr gehörte. Ab 1903 wurde der Laden von seinem Schwiegersohn Jakob Löwenstein (geboren 1873 in Haaren/Ems) als Geschäftsführer und ab 1910 von eben diesem als Inhaber geführt. Löwenstein hatte Lilli (geboren 1880), die Tochter des Kaufmanns geheiratet und 1909 mit ihr zusammen den Sohn Erich bekommen. Dem alten Behr schien dies ein guter Zeitpunkt für einen Generationenwechsel im Fachgeschäft. Das Ehepaar Löwenstein führte das Geschäft in den nächsten Jahren zu einigem Erfolg. 1911 wurde die gemeinsame Tochter Hilde geboren, die leider nur 15 Jahre alt werden sollte und 1926 verstarb. Für die Familie Löwenstein-Behr ein tragischer Verlust.

Ab 1933 bemühte sich Vater Löwenstein um eine Neuausrichtung des Schuhgeschäfts und erhielt die Alleinverkaufsrechte für Salamander-Schuhe in Celle. 1935 wurde Jakob Löwenstein Großvater und wie schon sein Schwiegervater nahm er dies zum Anlass, einen Generationenwechsel einzuläuten. Sohn Erich, mittlerweile gelernter Kaufmann und Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Celle trat 1936 im Alter von 27 Jahren als Gesellschafter in das Familiengeschäft ein. Der Vertrieb der Marke Salamander, die in ganz Deutschland bekannt und beliebt war, half dem Unternehmen zunächst, trotz der ab 1933 zunehmenden Boykottaufrufe der Nationalsozialisten gegen jüdische Geschäftsinhaber weiter zu bestehen. Dabei waren die Verantwortliche bei Salamander ihrerseits aus Angst vor wirtschaftlichen Repressalien bemüht, das Vertriebsnetzwerk ab 1933 zu arisieren und die Verträge mit jüdischen Geschäftsinhabern wieder aufzukündigen.

Nachmieter ab 1938: Radio Rohde (Ansichtskarte)

Es soll Jakob Löwenstein gewesen sein, der hartnäckig an seinem zunehmend schlecht laufenden Geschäft festhielt. Der für das Vertriebsnetzwerk rund um Hannover zuständige Repräsentant schrieb 1937, dass er sicher sei, der alte Löwenstein würde verkaufen, wenn Salamander ihm den Vertrag entziehen würde und einen Nachfolger präsentieren könnte. Auch hielt man seitens der Boykottierer offenbar Erich Löwenstein für zugänglicher und wollte ihn in die Verhandlungen mit einbinden. Es war bekannt, dass Erich entfernte Verwandte in Argentinien hatte und mit seiner jungen Familie eigentlich lieber auswandern wollte. In Deutschland blieb er nur seiner Eltern zuliebe, da er den Vater nicht alleine lassen wollte. Für Salamander und die Behörden vollkommen überraschend und unerwartet hatten die Löwensteins 1938 selbst einen Käufer für das Ladengeschäft gefunden. (Vgl. Swett). Noch vor der Reichspogromnacht hatte sie den Laden in der Zöllnerstraße 5 an einen „arischen“ Inhaber verkauft. Erich, seine Frau Lieselotte und Sohn Hans-Werner emigierten nach Argentinien.


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Kriegs- und Nachkriegszeit

Schuhhaus Behr (weißes Schild mittig, Ansichtskarte um 1955)

Vater und Mutter Löwenstein, beide Mitte 60, erkannten weiterhin nicht die Gefahr der sich im Dritten Reich immer weiter zuspitzenden Lage und ließen den Sohn mit seiner Familie emigrieren, zogen selbst jedoch nur einige Kilometer weiter nach Hannover. Für Jakob Löwenstein ein verhängnisvoller Fehler, denn die Nationalsozialisten nahmen ihn und andere jüdische Männer fest und internierten ihn im Arbeitslager der Munitionsfabrik Liebenau, wo er 1940 starb. Seine Frau Lilli gelang anschließend die Flucht zu den Kindern nach Argentinien. An Jakob Löwenstein erinnert heute ein Stolperstein vor dem ehemaligen Haus der Familie in der Zöllnerstraße.

Ab 1955 lebte in dem Haus der mit Lilli Löwenstein verwandte Benno Behr (1890–1964). Der Kaufmann stammte aus Celle, hatte ab 1914 in Danzig gelebt, die Nichtjüdin Marie Schwarz geheiratet, im ersten Weltkrieg als Unteroffizier gedient, im Dritten Reich Zwangsarbeit leisten müssen und war nach dem Krieg nach Amrum gezogen. Nach seinem Umzug nach Celle wurde er vom KZ-Ausschuß als rassisch Verfolgter anerkannt und als städtischer Aushilfsangestellter eingestellt. Auch er betrieb ein Schuhhaus zusammen mit dem Schuhmachermeister Isaak Mosler aus Schlesien, wodurch das Schuhhaus Behr nach Celle (zunächst in die Hugenottenstraße 2 und später dann auch wieder) in die Zöllnerstraße 5 zurückkehrte. Nur die Alleinverkaufsrechte für Salamander erhielt das neue Schuhhaus nicht mehr zurück. Im Laufe der seither vergangenen Jahrzehnte befanden sich wechselnde Geschäfte unterschiedlicher Filialketten wie Rituals und Hunkemöller in dem Geschäftshaus.


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Keine Verbindung zu Joe Loe

Schuhhaus Behr (Ansichtskarte von 1956)

Unter dem Pseudonym „Joe Loe“ arbeitete der jüdische Grafiker Joel Loewenstein für allerlei namhafte Unternehmen, darunter auch die Firma Salamander. Diese Namensähnlichkeit veranlasste die Kornwestheimer Geschichtsblätter 2014 zu Spekulationen, dass Joel Loewenstein zur Familie Löwenstein in Celle gehören konnte. Joe Loe, der in dem Fachartikel durchgängig falsch Leo Löwenstein (deutscher Physiker) und „Joe Leo“ genannt wird, sollte demnach der Sohn von Besitzern eines Eines Schuhgeschäfts mit Alleinverkaufsrecht von Salamander gewesen sein. Dieser Annahme steht jedoch entgegen, dass Joe Loe im gleichen Alter wie sein nach dieser Theorie vermeintlicher Vater Jakob gewesen ist, dass sich sein Name „Loewenstein“ und nicht „Löwenstein“ schrieb, das Schuhgeschäft vor 1910 den Geburtsnamen von Löwensteins Frau und deren Familie trug, dass Jakob und Lilli Löwenstein nur zwei Kinder hatten, von denen die Tochter starb und der Sohn den Schuhladen übernahm, dass das Alleinverkaufsrecht erst ab 1933 bestand, fast 20 Jahre nachdem Joe Loe für Salamander arbeitete und dass Joe Loe nach einem zeitgenössischen Medienbericht „waschechter Berliner“ gewesen sei. Da auch viele weitere biografische Daten in besagtem Artikel der Kornwestheimer Geschichtsblätter falsch sind, erscheint die angenommene Verbindung in Ermangelung von Belegen höchst spekulativ und durch Widerlegung der Vermutungen sehr fraglich. Es kam in früheren Zeiten vor, dass Nachnamen von Familienmitgliedern sich unterscheiden konnten, wenn bei der Eintragung der Geburt Fehler gemacht wurden. Es ist aber nichts über eine Verbindung von Joel Loewenstein und Jakob Löwenstein bekannt.


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Die Enteignung von Juden in der Schuhbranche

Pamela E. Switt beschäftigt sich in ihrem Aufsatz „Jewish-owened Shoe Shops, Company Representatives, and the Daily Business of Dispossesion“ (dt: „Jüdische Schuhgeschäfte, Firmenvertreter und der tägliche Geschäftsbetrieb der Enteignung“) ausführlich mit der Praxis der Enteignung von jüdischen Geschäftsinhabern in der Schuhbranche, insbesondere in Verbindung mit der Firma Salamander und ihrem Filialnetz. Die Autorin geht dabei auch auf den Fall Löwenstein in Celle ein.

Der Essay erschien in dem Buch „Dispossession: Plundering German Jewry, 1933-1953“, welches eine Sammlung von Aufsätzen ist. Es beschäftigt sich mit der Finanzgeschichte, der sozialen Bedeutung und den kulturellen Bedeutungen des Diebstahls von Vermögenswerten der deutschen Juden ab 1933. Es untersucht die enteignende Besteuerung jüdischen Eigentums, das Plündern von Kunst und die Beschlagnahme von Gold, die Rolle deutscher Zwischenhändler beim Diebstahl von Eigentum, Enteignung im Einzelhandel und die Mitschuld der Bankenbranche, aber auch die Ausdehnung der Praxis über die deutschen Grenzen hinaus. Es bietet einen Beitrag zu unserem Verständnis der Geschichte dieser Zeit und der Taten. Das Buch bietet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Judenverfolgung und -enteignung im Dritten Reich, da es die Finanzgeschichte, die sozialen und kulturellen Bedeutungen untersucht. Es gibt einen tieferen Einblick in die Enteignungspraktiken, die von den Nationalsozialisten durchgeführt wurden. Diese Informationen tragen dazu bei, das Verständnis für die Auswirkungen dieser Verbrechen zu erhöhen und dazu beizutragen, dass sie nicht vergessen werden. Bisher erschien die Essay-Sammlung nur in englischer Sprache.


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Quellen und weiterführende Literatur

  • Eigene Sammlung und Recherchen
  • Sabine Maehnert: „Jakob Löwenstein“, in: „Stolpersteine: Spurensuche in Celle“, Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Celle e.V., 2008, S. 39
  • Verein zur Förderung politischer Literatur e.V. : „Schuhgeschäft Löwenstein“, auf der Website „Celle im Nationalsozialismus“, abgerufen am 12.01.2023
  • Stadt Celle: „Stolpersteine: Jacob Löwenstein – Zöllnerstraße 5“, auf der Website der Stadt, abgerufen am 12.01.2023
  • „Jüdische Spuren im Celler Stadtbild. Eine Dokumentation des Stadtarchivs Celle, Celle“ (1997)
  • Stadtarchiv Celle: „Jüdisches Leben in Celle nach 1945. Ausstellungstexte.“ (2005), Texte der Ausstellung „Jüdisches Leben in Celle nach 1945“ in der Celler Synagoge vom 19.4.–30.12.2005, S. 27
  • John Busch: „Zur Geschichte der Juden in Celle: Festschrift z. Wiederherstellung d. Synagoge“ (1974), S.35
  • Pamela E. Swett: „Jewish-owened Shoe Shops, Company Representatives, and the Daily Business of Dispossesion“, in: Christoph Kreutzmüller & Jonathan R. Zatlin (Hg): „Dispossession: Plundering German Jewry, 1933-1953“ (2020), S. 107-126, hier: S.119
  • Dr. Ruth Kappel: „Sammlungstätigkeit des Vereins für Geschichte und Heimatpflege – Miszellen“ in „Kornwestheimer Geschichte: Beiträge 2014“, S.52
  • Abbildung des Stolpersteins von Jakob Löwenstein und Familienfoto: siehe Website Stolpersteine-Guide, abgerufen am 14.01.2023
  • Anm.: Die Adresse des Schuhwarengeschäfts wird vereinzelt auch fälschlich mit „Zöllnerstraße 44“ angegeben. Die Verwechslung geht womöglich darauf zurück, dass das Fachwerk der beiden Häuser ähnlich gestaltet ist, so dass sich die Häuser ähnlich sehen.

Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!


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