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Das Geheimnis um Heft 56

Zu den ungelösten Geheimnissen der Lurchiforschung gehört bis heute die zeichnerische Urheberschaft des Lurchi Heftes 56. Zwischen Brigitte Smith und Enrique Puelma gab es eine/n Zeichner/in, der/die sich mit Schimpf und Schande in die Serie großer Namen einreiht. Fest steht, dass die 1970er Jahre für Lurchi und seine Freunde auf eine andere Art abenteuerlich waren als alles, was sie zuvor erlebt hatten. 1972 zeichnete Heinz Schubel nach 20 Jahren sein letztes Lurchi-Heft und ging dann in den Ruhestand. Albert Drexler bekam von Salamander die Aufgabe, einen Nachfolger zu suchen. Schnell war Brigitte Smith besetzt, die sich jedoch mit ihren innovativen Ideen vom humanistischen Lurchi und ihren Flowerpower-Zeichnungen aber nicht länger als drei Hefte lang behaupten konnte. Jemand Neues musste gefunden werden, der die Reihe übernehmen sollte. Heft 56 wurde auch tatsächlich gezeichnet, allerdings in derart minderwertiger Qualität, dass sofort anschließend mit Enrique Puelma wieder ein neuer Zeichner besetzt wurde.


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Lurchi in Heft 56

Heft 56 ist in vielerlei Hinsicht ein Kuriosum. Nicht nur hat die Heftreihe hier nach einhelliger Meinung von Fans und Wissenschaft zeichnerisch ihren Tiefpunkt erreicht, die Figuren sind auch überraschend oft in gesäßbetonenden Rückenansichten gezeichnet. Matthias Brendel vermutet hier einen Sexisten am Werk: „Der sowohl unbekannte als auch unbegabte Zeichner der Folge 56 […], ein kaum gezügelter Sexist, versteift sich vornehmlich auf die Darstellung verschiedener Analverkehrspositionen. Angetan hat es dem Künstler (angeblich hauptberuflich Architekt) dabei die füllige Gestalt des Unkerich.“ (Vgl. Brendel 1994). Nils Lehnert und Sven Puschmann erwidern darauf, dass das Geschlecht des Zeichners oder der Zeichnerin noch gar nicht erwiesen sei und weisen ferner darauf hin, dass in der Tat gemäß Biologiebuch „[p]aarungswillige Männchen […] zunächst jeden sich bewegenden Salamander“ verfolgen (Lehnert / Puschmann 2017).

Insgesamt finden sich im Heft leider viele unförmige Figurenzeichnungen, schlechte Perspektiven und öde Landschaften, die die Lebendigkeit und Wuseligkeit der Lurchi-Hefte vermissen lassen. Dietwald Doblies urteilte: „Die grandiose Leere dieser Landschaft könnte man durchaus als interessanten Einfall werten – wenn da nicht die stark verzeichneten Figuren wären, die das Heft 56 als dilettantisches Machwerk ausweisen.“ (Vgl. Doblies 2012). Lurchi-Zeichner Georg Nickel äußerte sich 2010 gegenüber dem Lurchi-Forscher Werner Fleischer wie folgt: „[E]s war eine hilflose Bemühung. Die Dramaturgie war OK, die Zeichnungen recht mangelhaft“ (Vgl. Fleischer 2013) – Auch Semel sieht hier „die zweifelhafte Ehre […], den absoluten Tiefpunkt der Serie gestaltet zu haben“. Rüster wünscht gar, dass der/die Verantwortliche „bis heute in einem finsteren Loch sitzt und sich schämt.“ (Rüster 2009). Inhaltlich geht es übrigens darum, dass Lurchi mit seinen Freunden erst Piping sucht, dann einen Drachenschatz und mit dem Gold schließlich einen Zirkus kauft.

Wer zeichnete Heft 56?

Zur Identität des Zeichners oder der Zeichnerin gibt es bis heute keine Anhaltspunkte, die über das rein Spekulative hinaus gehen. Piiit Krisp, der auch zu Brigitte Smith die richtige Richtung weisen konnte, sich bezüglich Enrique Puelma damals aber irrte, spekulierte früh in Richtung eines unbekannten Architekten (zitiert nach Böhm 1984). Dies könnte durchaus denkbar sein und erscheint bei reiflicher Überlegung als eine der wahrscheinlichsten Lösungen, da der Architektenberuf etliches zeichnerisches Können erfordert und man jemanden mit entsprechenden Vorkenntnissen engagieren würde. Ob ein Architekt jedoch nicht mehr zeichnerisches Talent mitgebracht hätte, sei dahingestellt. Auch ein unbekannter Arzt wird gelegentlich vermutet (Vgl. Granacher 1994). Vielleicht ja ein Proktologe?

Es wäre überdies auch denkbar, dass der mit Comics unerfahrene Enrique Puelma sein erstes Heft – so wie später Georg Nickel – an jemand anderen vergeben hatte oder der Zeichner aus dem Kreis-Umfeld stammt und anschließend an Puelma übergab. Eine gewisse Homoerotik scheinen Fans und Wissenschaft in das Heft ja hineininterpretieren zu wollen und die Weitervergabe des Auftrags war in der Folge eine akzeptierte Praxis. Denkbar wäre natürlich auch, dass Albert Drexler sich aus der Not heraus kurzfristig selbst am Zeichnen versucht hat. Der Text des Heftes wird ihm gemeinhin jedenfalls zugeschrieben. Vermutlich wird das Rätsel nicht mehr aufgedeckt werden. Drexler, der Salamander noch bis zum Weggang Georg Nickels 1988 betreute, ist mittlerweile verstorben.

Der Name Ulrike Tietsch, zu der es keinerlei Belege einer tatsächlichen Existenz oder weitere Erklärungen gibt, macht neuerdings ebenfalls die Runde (Vgl. Doblies 2012, Lehnert/Puschmann 2017), seit der Name spekulativ mit Fragezeichen versehen auf der offiziellen Lurchi Website erschien (Vgl.: Salamander 2014). Selbst die Herleitung dieser Spekulation von „offizieller Seite“ scheint mittlerweile nicht mehr ermittelbar.

Mit Heft 57 sollte dann zunächst Enrique Puelma übernehmen, der unter den Pseudonym Rico vor allem für homoerotische Zeichnungen eines Züricher Schwulenmagazins, als Landschaftsmaler und Werbegrafiker bekannt war. Puelma war handwerklich um Längen besser als sein/e Vorgänger/in. Die Zusammenarbeit mit Albert Drexler blieb aber nicht spannungsfrei. Somit blieb auch er nur für die Dauer von drei Heften. Friedrich Nickel übernahm; dann sein Sohn Georg Nickel.

Die unbekannten Zeichner der Vergangenheit

Dass Lurchi-Zeichner nicht oder erst nach vielen Jahren bekannt geworden sind, hängt auch mit der Philosophie des Unternehmens in den vergangen Jahrzehnten zusammen. Ganz zu Beginn sah man Lurchi wohl nur als Werbecomic und den Zeichner als nebensächlich an. So war es alleine der Zufall, der nach vielen Jahren und Jahrzehnten der Spekulation die Lurchi-Forschung auf Lorenz Pinder führte, von dem nach dem zweiten Weltkrieg bei Salamander kaum noch etwas bekannt war. Rudolf Finzer, Laszlo Pinter und andere waren in der Diskussion. Heinz Schubel hingegen wurde von der beauftragten Druckerei, den Vereinigten Kunstanstalten Kaufbeuren jahrelang vor Salamander verheimlicht. Die wiederum hüteten seine Identität anschließend jahrelang. Auch die nächsten Lurchi-Zeichner blieben stets ungenannt. So kam es zu Verwechslungen rund um Brigitte Smith, Enrique Puelma und Angela Hopf. Teils waren nur Nationalitäten oder Geschlechter bekannt und alles andere blieb der Forschung überlassen. Sogar die Abgrenzung der Hefte Friedrichs Nickels hin zu Enrique Puelma war bis vor kurzem gar nicht eindeutig. Da verwundert es nicht, dass über das Heft 56 ein Mantel des Schweigens gebreitet wurde und heute nicht mehr viel bekannt ist.


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Quellen und weiterführende Literatur

  • Eigene Sammlung und Recherchen
  • Salamander: „Lurchis Abenteuer: Heft 56“ (1974)
  • Matthias Brendel: „Lurchi-Lexikon von A bis Z“, in Galerie der Stadt Kornwestheim (Hrsg.): „Lurchi – Dem Feuersalamander auf der Spur.“ (1994), Salamander-Druck Kornwestheim, S. 117–119
  • Nils Lehnert und Sven Puschmann: „Lurchi“, Wissenschaftliches Portal für Kinder und Jugendmedien, Erstveröffentlichung: 15.08.2017, abgerufen am 12.01.2022
  • Dietwald Doblies: “Folge 56 und Enrique Puelma – Die Nachfolgezeichner 2 (1974-75)”, Website des Zeichners (ca. 11/2012), abgerufen am 12.01.2022
  • Dieter Böhm: „Lurchi – Ein Werbecomic wird transparent.“, in: „Comic Stern. Das Magazin für Comic-Sammler“ Heft 14 (1984). S. 4–11
  • Salamander GmbH: „Lurchi-Hefte“, S. 8, Heft 56 (öffnet im Popup), Langenfeld, archiviert im Internet Archive mit Stand 30.12.2014, abgerufen am 12.01.2022
  • Stefan Semel: „Lurchis Abenteuer“, in „Reddition“, Heft 31 (1998). S. 20–23. dort S.23
  • Johannes Rüster: „Ein Lurch geht um die Welt. Reminiszenz“, in „Magira. Jahrbuch zur Fantasy“ (2009), Marburg, Fantasy Club e.V., S. 147–166, dort S. 158
  • Werner Fleischer: „Friedrich Johann Nickel“, Forenbeitrag im Sammlerforen.net vom 23.02. und 24.02.2013, abgerufen am 27.10.2022

Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!


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Zeichnung Titelbild: S. Jänisch: „Der unförmige Heft-56-Lurchi trifft seinen Schöpfer. Natürlich von hinten.“