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Forschung & Sammlung

Lurchi im ICOMAUS Sonderheft 2012

Seit 2011 nahm der Interessenverband Comic e.V. ICOM am Gratis-Comictag teil. Zuletzt mit einem 48-seitigen Sonderheft „Comics für alle“, das Zeichnungen vieler ICOM-Mitglieder enthielt. Das Heft fand man bei Händlern und auf Messeauftritten des Verbandes. 2012 war dies aufgrund geänderter Teilnahmebedingungen des Comictags nicht mehr möglich. Der ICOM beschloss aber, ein digitales Heft als PDF auf seiner Website herauszugeben. Hierfür wurden erneut die Mitglieder aktiviert, die kurze Comicstrips zum „ICOMAUS Sonderheft 1958“ unter dem Slogan „Noch mehr Comics für alle“ beitrugen. In einem gemeinsamen Jam-Comic steuerten mehrere Künstler Einzelbilder als Illustration zu einer übergreifenden Geschichte, verfasst von Holger Bommer bei. So kam es, dass auch Lurchi in dem digitalen 44-seitigen Heftlein landete.


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Der Autosalon in Charleroi 1958

In einem fiktiven Bericht „10.000 PS und 600 Räder“ über den Internationalen Autosalon 1958 in Charleroi berichtet Bommer über die Neuerungen der Autobranche der späten 50er Jahre. Auf der Autoausstellung trieben sich demnach die ICOMAUS-Zeichner Burkhard Ihme, Gero Kastner, Rolf B. Koch, Martin Frei, rautie, Gerhard Schlegel, piiit Krisp, Peter Krüger, Norbert Höveler und Holger Bommer höchstselbst herum und dokumentierten für die geneigten Leser und Autonarren das Geschehen rund um die neuesten Automobile. Die witzigen Auto-Bildchen wurden mit passenden Texten versehen. Lurchi winkt dabei als Schattengestalt hinterm Steuer eines Autos von einem Plattencover. Das Bild steuerte der ehemalige Lurchi-Zeichner piiit Krisp bei, der zu diesem Zeitpunkt bereits im 17. Jahr als offizieller Zeichner durch Dietwald Doblies abgelöst worden war. Es kann also als späte Hommage empfunden werden. Bild und Text lauten:

Lurchi als Billy Mo mit Tirolerhut (Copyright: Peter Krisp)

Der Crowner Sportstourer hat uns überrascht: Erst auf den zweiten Blick merkt man, daß es sich hier nicht um das beliebte Karmann Ghia Cabriolet handelt, sondern um ein eigenständiges Fahrzeug. Genau genommen handelt es sich bei dem flinken Wägelchen um das Produkt einer kleinen Karosserieschmiede, die den Wagen auf Basis eines Käferchassis mit zugehöriger Technik aufgebaut hat. Somit kämpft auch hier der unerschütterliche VW-Boxermotor im Heck und treibt den Wagen vorzüglich auch durch enge Bergkurven. Obwohl noch nicht erhältlich, konnte der Macher des Mobils schon eine aussichtsreiche Werbekooperation mit einer Plattenfirma abschließen und ziert nun die Plattenhülle einer Single mit fetziger Negermusik. (Zeichnung: Piiit Krisp)

[Downloaden kann man das kostenlose PDF hier]

Die Beiträge der Künstler sind dabei so unterschiedlich, wie sie nur sein können von Realismus und Werbeillustration bis hin zu Retro-Comic-Look. In der Bildsprache ist Ihnen gemeinsam, dass sie alle das Auto in den Mittelpunkt stellen und farblich in Rottönen arbeiten. Dies kommt in der Zeichnung von piiit Krisp besonders gut heraus, der Lurchi, durch seine Silhouette klar als Fahrer erkennbar, als Schatten deutlich in den Hintergrund treten lässt.

Lurchi Heft 8 /1954 von Heinz Schubel

Die Zeichnung erinnert entfernt an das Auto, mit dem Lurchi in Heft 8 von 1954 unterwegs war und ist damit eine Hommage an den großen Lurchi-Zeichner Heinz Schubel. Anders als früher in den Comics ist hier das Automobil der Star. Eine Fähigkeit, Produkte in den Mittelpunkt zu rücken, beweist der Zeichner bereits seit vielen Jahren mit seinen Werbeillustrationen. Dass Lurchi hier einen Gastauftritt hat, ist besonders charmant, da Krisp den Salamander aus Kornwestheim schon viele Jahre nicht mehr gezeichnet hat und seine Ablösung bei Salamander nicht nur unter Fans ambivalente Gefühle hervorgerufen hat.

Lurchi und die „Negermusik“ vom Tirolerhut

Witzig ist auch die Idee des Plattencovers, das wohl gut in die späten 50er Jahre passt; eine Zeit, in der Lurchi nur wenig später eigene Schallplattenerfahrungen gesammelt hat. Das Plattencover mit dem Titel „Fröhlich unterwegs!“ zeigt Lurchi winkend hinter dem Steuer eines Autos, dessen Scheinwerfer wie Augen und der Kühlergrill wie ein Lächeln scheint. Aus dem Autoradio tönt Musik, die in Notenschrift auch quer über das Cover reicht. „Auto-Radio“ thront als Label auf dem Bild. Sprachlich aus der Zeit gefallen und doch in die 50er Jahre passend erscheint der Text, in dem die Platte als „Single mit fetziger Negermusik“ beschrieben wird, eine in der Gesellschaft ursprünglich als Abwertung verwendete Bezeichnung der Musikstile Blues und Jazz. Eine bewusst gesetzte Provokation und Übersteigerung, die nach heutigem Verständnis sich so nicht mehr ausdrücken ließe und in ihrem Alltagsrassismus auch nicht zu dem fröhlichen Bild passt. Bei Salamander ging man früh bewusst mit Political Correctness um und strich die wilden Afrikaner schon früh aus Nachdrucken seiner Hefte. Genau auf diesen Vorfall aus Heft 13 im Jahr 1955 könnte der ICOMAUS-Beitrag hier auf einer Metaebene aber sogar abzielen.

Das Nummernschild von Lurchis Auto, angeblich ein Cabriolet auf Basis des VW-Käfer-Chassis, entlarvt immerhin das Szenario mit dem Kennzeichen „FA-KE 58“ als Satire. Der Begriff „Negermusik“ hielt sich auch in den 1950er und 1960er Jahren noch im diskriminierenden Sprachgebrauch für Rock’n’Roll und zeitgemäße Rockmusik und wurde nach und nach Ausdruck des Generationenkonfliktes. Im Zeitgeist früherer Jahrzehnte konnte man trotz politisch inkorrekter Formulierung also durchaus die Begrifflichkeit als Identifikationsmerkmal der Jugend verstehen, besonders dann, wenn diese Musik auch noch als „fetzig“ beschrieben war. Bei den Noten übrigens handelt es sich um den tatsächlich fetzigen deutschen Volksmusik-Song „Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut“ des verstorbenen schwarzen Sängers und Musikers Billy Mo, wodurch der Bogen der Ironie wieder zurück auf den urdeutschen Lurchi mit seinem Tirolerhut gespannt und der Begriff der „Negermusik“ gerade durch die typisch deutsche Volksmusik konterkariert und auf einer weiteren Ebene ironisch aufgelöst wird.

Vielleicht steckt darin sogar mehr als nur ein Gag, nämlich ein verdeckter Seitenhieb und Kommentar dazu, dass Lurchi im Jahr 2000 seinen Hut an den Nagel hängen und Shirt und Hose anziehen musste. Veröffentlicht wurde das Lied allerdings erst 1961 wie piiit in seinem Blog einräumt (Vgl. Krisp 2012). Der Song des Musikers handelt davon, wie ihm Geld, Frauen und Karriere angeboten werden, die er aber aus Liebe zu seiner Leidenschaft, der Blasmusik und dem Tirolerhut, ablehnt. Eine Kommerzkritik am Werbecomic? Man kann wirklich viel in dieses kleine Bildchen hineinlesen, wenn man nur möchte. Und das, obwohl es nur ein Bildchen unter vielen in einer scheinbar automobil-thematischen Zusammenstellung eines Comic-Jams ist. Ein kleines Bild, aber ein Interpretationsobjekt par excellence. Chapeau, piiit!


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Billy Mo – Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut

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https://www.youtube.com/watch?v=yi0cBmlnM4Q&loop=0

In dem Song von Billy Mo heißt es:

Aus Las Vegas kam ein Mann
Bot mir tausend Dollar an
Er sagt: „du wirst großer Star“
Doch als ich nach drüben kam
War alles gar nicht wahr
Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut
Der steht mir so gut
Der steht mir so gut
Dann mach‘ ich Sonntag Abend Blasmusik
Immer nur dasselbe Stück
In San Remo reiche Frau
Machte mit mir große Schau
Sagte zu mir: „lieber Bill
Ich nehm‘ dich zum Mann
Doch du musst machen, was ich will“
Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut
Der steht mir so gut
Der steht mir so gut
Dann mach‘ ich Sonntag Abend Blasmusik
Immer nur dasselbe Stück
Dann kam ich zum Militär
Kinder, war das Leben schwer
Sagte zu mir Corporal
„Wenn du erst Gefreiter bist
Bist du auch General“
Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut
Der steht mir so gut
Der steht mir so gut
Dann mach‘ ich Sonntag Abend Blasmusik
Immer nur dasselbe Stück

Quellen und weiterführende Literatur

  • Eigene Sammlung und Recherchen
  • Holger Bommer: „10.000 PS und 600 Räder: Die Träume vieler Autofreunde wurden wahr in Charleroi“ (2012) in „ICOMAUS Sonderheft 1958“ zum Gratiscomictag 2012, Veröffentlichung des ICOM als PDF auf der Website des Verbandes, S. 10, abgerufen am 28.12.21
  • Peter Krisp: „Comic zum Gratis Comic Tag 2012“, Blogbeitrag des Zeichners vom 11. Mai 2012, abgerufen am 28.12.21
  • Salamander AG: „Lurchis Abenteuer“ mit Illustrationen von Heinz Schubel, Heft 8

Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!


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© Alle Abbildungen sind, soweit nicht anders gekennzeichnet, eigene Fotografien. Das Urheberrecht an der Gestaltung der abgebildeten Objekte liegt bei ihren jeweiligen Illustratoren und Produktgestaltern, die nach Möglichkeit und bester Kenntnis genannt werden. „Salamander“ und „Lurchi“ sind lange eingetragene Warenzeichen der Salamander AG und Salamander GmbH gewesen. Das Copyright der Illustrationen liegt bei Salamander, bzw. hinsichtlich der Lurchi-Bücher beim Esslinger Verlag. Lurchi ist seit 2023 eine Marke von Supremo. 

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