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Lurchi und die „Generation Golf“

Lurchi steht seit den 1950er Jahren des Nachkriegsdeutschlands, wenn nicht sogar schon seit den 1930ern für Kindheit und Jugend, Nostalgie und Erinnerung. Früh begannen wir, die Abenteuer des gelb-schwarzen Feuersalamanders begierig zu verschlingen und bei jedem Schuhkauf gab es eine neues Lurchi-Heft. So war es auch für Florian Illies, Jahrgang 1971. Als er in der Höhe der Popliteratur-Epoche im Jahr 2000 seine „Generation Golf“ als „Eine Inspektion.“ der Popkultur seiner Generation veröffentlichte, erhielt das Buch eine große Aufmerksamkeit und der Journalist und Jungautor wurde vielfach gefeiert. Wie in der Popliteratur üblich, finden sich in seinem Buch etliche Referenzen auf Markennamen und Werbelandschaft, verstärkt noch durch das Glossar am Ende des Buches. Da erscheint es nur ganz selbstverständlich, dass auch Lurchi, der Salamander aus Kornwestheim in dieser kulturellen Bestandsaufnahme nicht unerwähnt bleibt.


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Lurchi bei Florian Illies

Wir rannten von Laden zu Laden und fragten nach Aufklebern, die wir dann zu Hause in Schuhkartons sammelten. Wer welche aus London mitgebracht bekam, war der King. Der Besitzer des Salamander-Ladens war bitter enttäuscht, als ich ihm signalisierte, dass ich mich nicht länger für seine Lurchi-Comics interessierte und auch nicht für die Kickers-Schuhe mit rotem und grünem Punkt im Absatz, sondern zukünftig nur noch für Camel-Boots-Aufkleber. Hätte es damals schon Analytiker des Zeitgeistes gegeben, sie hätten dank unserer unerklärlichen Liebe zu nichtssagenden Stickern, die für Markenprodukte warben, die ganze Entwicklungsgeschichte der Generation Golf prophezeien können: Also die frühe Liebe zum Oberflächlichen, der Markenfetischismus, die völlige Distanzlosigkeit zur Scheinwelt der Werbung. (Illies, „Generation Golf“, S.27-28)

Illies, der in „Generation Golf“ als Stützpfeiler seiner Kindheit Playmobil, Helmut Kohl und das Mathe-Hausaufgaben-Abschreiben bei Rüdiger etabliert, reflektiert nahezu alle popkulturellen Phänomene und Stereotypen der ansonsten weitgehend „langweiligen“ 80er Jahre. Immer wieder taucht er dabei in die Wohlfühl-Phasen des Wochenendfernsehens ab, setzt sein Leben in Bezug zu Werbeslogans und verwebt dabei Popkultur und eigene Jugend miteinander. Die eigene Jugend das ist die der Generation 1970er und 1980er Jahre, wobei Illies hierbei maximal noch Prinz William (Jahrgang 1982) zulassen möchte, obwohl auch die in den 80ern Geborenen sich mit seinen Schilderungen durchaus in großen Teilen identifizieren können. So arbeitet er sich am Schulsport und frühesten Videospielen ab, referenziert die Wrigleys-Joggerin aus dem Werbefernsehen genauso wie das Auftauchen neuer Wörter wie Mozzarella und Cappuccino.

Ausgerechnet Lurchi ist es, der für Florian Illies den Bruch in seiner Generation hin zur Oberflächlichkeit ausmacht. Das aber nicht etwa, weil eine Werbefigur die Abenteuerfantasien unserer Kindheit dominierte, sondern weil für den Autor der Zeitpunkt kam, an dem er sich nicht mehr für die Lurchihefte interessierte und stattdessen Aufkleber mit Schuhmarken sammelte. Dass Werbung und Kindheit ohnehin miteinander verwoben waren, scheint eine ohnehin gültige Gegebenheit des biografisch geprägten Buches zu sein, die als solche gar nicht kritisch hinterfragt werden muss. Lurchi wird hier als die wenigstens nicht sinnbefreite Sammelleidenschaft dem Sammeln von Stickern gegenübergestellt. Die grünen Lurchi-Hefte stehen damit innerhalb einer in Watte gepackten Werbewelt, die vom Autor dahingehend designt ist, sich von vorne bis hinten wie das Rundum-Wohlfühl-Paket anzufühlen, für das Frühkindliche, das die Generation Golf auf ihrem Weg ins langweiligste aller Jahrzehnte zu überwinden und mit Bedeutungslosigkeit zu ersetzen hatte.

Der Lurch aus Kornwestheim hat seinen Auftritt im ersten Kapitel des Buches („Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und warum weiß mein Golf die Antwort?„) über „Kindheit. Schulzeit. Playmobil.“ – Lurchi zu Illies‘ Zeiten, das waren vor allem die alten Hefte von Heinz Schubel, aber auch die Kapriolen der Folgezeichner ab 1973. Erst 1976 kam der neue, moderne Lurchi auf, der noch im Wechsel von Georg Nickel und Peter „piiit“ Krisp gezeichnet wurde. Ein Lurchi, den es schon im Jahr nach der Veröffentlichung der Generation Golf durch den Relaunch des Franchise unter Dietwald Doblies so nicht mehr geben sollte und der durchaus etwas mehr Nostalgie verdient gehabt hätte. Für Illies aber scheint Lurchi derart eine Institution der Kindheit in der Bundesrepublik gewesen zu sein, dass er kaum noch als eigenständiges Popkulturgut erscheint sondern nur noch als Wasserstandsanzeiger der Präpubertät.

Mann kann Illies‘ „Generation“ allerdings auch umgekehrt lesen, um sich in die Zeit zurückzuversetzen, in der Lurchi in den 1970ern und 1980ern erschienen ist, als in der Schule Pelikan Füller gegen Geha Füller konkurrierte, Dany Sahne und Scout-Schulranzen die Pausenhöfe dominierten und „Laufen gehen“ noch kein Sport sondern eine Form der Fortbewegung war – für alle Yps-Detektive und frühreifen Bravo-Leser. Die wenigsten Lurchi-Sammler der heutigen Zeit stammen aus Generationen, die der Generation Golf nachfolgten. Irgendwo in der Abkehr der Golfer von Lurchi und der Hinwendung zu inhaltsleeren Massenwerbungen könnte also das Verständnis für den sich wandelnden Erfolg der Marken Lurchi und Salamander liegen.

Ebenfalls im Jahr 2000 erschien im Hörverlag der Live-Mitschnitt einer Lesung des Buches durch den Autor. Illies las hierfür eine gekürzte Version seines Bestsellers, wordurch die Erwähnung des Salamanders aus Kornwestheim leider entfiel. Auf den veröffentlichten Hörmedien „Generation Golf. Eine Inspektion“ findet man Lurchi also nicht. Ebensowenig in der Fortsetzung „Generation Golf zwei“, in der Illies seine Generation nach Weltwirtschaftskrise und Terroranschlägen des elften Septembers noch einmal zur Inspektion schickt. Diese Medien kann man als Lurchi-Sammler getrost vernachlässigen. Das Taschenbuch, das einst einen Ausgabepreis von 9,00 Euro hatte, bekommt man antiquarisch je nach Zustand für Sammlerpreise zwischen 2 und 12 Euro.


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Quellen und weiterführende Literatur

  • Florian Illies: „Generation Golf. Eine Inspektion.“ (2000), Fischer Taschenbuch (Frankfurt am Main), 224 Seiten, hier S.27-28
  • Florian Illies: „Generation Golf. Eine Inspektion. Gelesen vom Autor“ (Live-Mitschnitt 2000), der hörverlag (München), 1CD, 58min
  • Florian Illies: „Generation Golf zwei.“ (2003), Blessing Verlag (München), 256 Seiten

Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!


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