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Forschung & Sammlung

Als Lurchi laufen lernte: Reklame-Welt im Kaiserreich

Ist Lurchi, der beliebte Werbeträger von Salamander, älter als gedacht? Lurchi gibt es seit 1936/37, doch schon im Jahr 1909 machte Salamander Reklame mit einem aufrecht gehenden, vermenschlichten Salamander in Verbindung mit gereimten Versen. In der Wochenzeitung „Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“ erschien eine Anzeigenserie von acht comichaften Bildern, in denen ein Salamander verschiedene Szenen erlebte und mit Menschen interagierte. Die an Karikaturen aus den fliegenden Blättern erinnernden Zeichnungen eines unbekannten Künstlers wurden von Anfang April bis Ende Mai 1909 im Wochentakt veröffentlicht und warben für die Salamanderschuhe. Der Salamander kann als Vorfahre oder als Frühform des späteren Maskottchens Lurchi angesehen werden.


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Insgesamt besteht der Gründerzeit-Lurchi acht verschiedene Abenteuer, die ihn anders als die Comichefte der 1930er Jahre nicht in die Tier- und Märchenwelt, sondern in die Menschenwelt und die gutbürgerliche Gesellschaft führten. Lurchi tritt als Teil einer Studentenverbindung auf, als Galan, der den feinen Damen nachstellt und diese mit Ständchen bezirzt, auf dem Nobel-Boulevard des Pariser Platzes in Berlin flaniert,  mit der Jugend in den Mai tanzt, der Wanderlust frönt und stets zu gutem Schuhwerk rät.

Die Reklameserie, die 1909 erschien, war ein Experiment. Salamander hatte zuvor mit Text-Bild-Anzeigen geworben, die vor allem eine Mehrwertkommunikation und sachdienliche Informationen zu den Verkaufsstellen, sowie die Zeichnung eines Schuhs enthielten. Die karikaturistischen und comichaften Szenen um den Lurchi des Deutschen Kaiserreichs waren innovativ und einmalig. Die Salamander Schuhgesellschaft warb 1909 in allen 52 Heften der Zeitschrift „Jugend“ für seine Produkte.

Nach nur acht Folgen kehrte Salamander aus unbekannten Gründen zu dem vorherigen Format zurück und druckte die Lurchi-Anzeigen nicht mehr nach oder setzte sie fort. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Werbeverantwortlichen mit der Reklame wohl nicht den erwünschten Effekt erzielten. Die Reklamen der damaligen Zeit dienten vor allem der Lead-Generierung, weshalb sie immer den Hinweis „Fordern Sie Musterbuch J.“ als Call-to-Action enthielten. Denkbar ist, dass das Musterbuch mit Reklamen, die sich um das Produkt der Schuhe und deren Einheitspreise drehten, klarer in der Kommunikation waren und daher zu mehr Bestellungen führten als die unterhaltsamen Lurchi-Bildchen. Die waren allerdings für ihre Zeit höchst innovativ und dürften die Leserschaft der stilprägenden Zeitschrift angesprochen haben. Im Einzelnen waren das diese Szenen:

„Lurchi“ spielt die Harfe

„Des Winters rauhe Macht verblich,
Es geht zum Frühling! Schmücke dich!
Wie wirst du reizvoll, froh und fein
Im Salamanderstiefel sein!“

Mit einem Frühlingsgedicht meldet sich der Lurch in seinem allerersten Auftritt. Sein Harfenspiel für eine feine Dame läutet die Frühlingsmode ein und erinnert daran, sich saisonal neu einzukleiden. Natürlich gehörte auch 1909 schon ein Schuhkauf dazu. Zumindest, wenn es nach salamander und dem Werbeträger-Lurch geht. Der Salamanderstiefel wird dabei als der Dame besonders schmeichelhaft angepriesen und appelliert an deren Wunsch nach Schönheit. In einer Zeit, in der Freizügigkeit noch kein Thema war, definierte sich Mode und Sex-Appeal bereits stark über Kleidung. Die Damenwelt war für eine Weile die Hauptzielgruppe für Salamander-Werbeaktivitäten. Neben Damen- und Herrenschuhen gab es erste Kinderschuhe im Salamander-Sortiment nicht vor 1934.

Galan „Lurchi“ grüßt die Dame

„Bezwungen folgt er ihr auf Schritt u Tritt,
als zog ihn etwas seltsam Schönes mit.
Man ist, dacht sie angleich wie ein Magnet
wenn man in Salamander-Stiefeln geht!“

Schon eine Woche später wagt der „Lurchi“ der Kaiserzeit sich wieder in die feine Gesellschaft. Wieder hat es ihm die holde Weiblichkeit angetan, die flotten Schrittes an ihm vorüber geht. Lurchi folgt, zieht den Hut, einen Zylinder und winkelt den Gehstock unter dem Arm an. Die Verse stellen dieses mal keine wörtliche Rede dar, sondern sind aus Sicht der schönen Dame geschrieben, die sich durch den Verfolger geschmeichelt fühlt. Ihre Weirkung auf die Männerwält führt sie dabei auf die Stiefel von Salamander zurück. Auch sie steht damit in der Tradtition der einige Jahre später erschienenen Künstler-Postkarten oder der Werbung Salamanders mit Madge Lessing, die just im Jahr 1909 nach Berlin gekommen war.

„Lurchi“ als Leibbursche

„Vor allem Leibfuchs musst du eines wissen:
Wirst du auch sonst ein grundgelehrtes Haus – 
Mit Salamander-Stiefeln an den Füssen
Trägt sich der Gentleman erst sichtbar aus“

„Lurchi“ tritt in dieser Szene als Teil einer Studentenverbindung auf. Der Begriff Leibfuchs geht dabei auf die Studentenszene des Kaiserreichs zurück. Junge Studenten, die als Füchse bezeichnet wurden, gingen ein Leibverhältnis mit einem Mentor, dem sogenannten Leibburschen ein. Der Leibbursche sprach nicht nur für den Fuchs auf dem Convent, zwischen den beiden entwickelte sich auch oft ein enges freundschaftliches Verhältnis. Als solch ein Mentor ist Lurchi in der Lage, dem Jüngling gute und wertvolle Tipps mit auf den Lebensweg zu geben. Er tritt also als weise Autorität auf. Lurchi und sein Begleiter sind hier mit „Coleur“ zu sehen, tragen also die Farben ihrer Verbindung: Band und Mütze. Die Burschenschaft scheint im Übrigen eine zu sein, die kein spezielles Fuchsenband, das oft nur zwei Farben beinhaltete, verwendet. Dies mag jedoch dem zeichnerischen Umstand der Schwarzweiß-Zeichnung geschuldet sein. Füchse waren in ihrer Verbindung oft mit Spott und niederen Diensten bedacht (Vgl. Neumayer 2022). Lurchi gibt hier den Tipp für das richtige Schuhwerk, der aus dem Zusammenhang so verstanden werden muss, dass sein Fuchs mit Salamanderstiefeln viel vornehmer wirken könne und so besser von den anderen akzeptiert wird. Bezüge zur Studentenverbindung hatte auch eine Salamander-Künstlerkarte von 1912, die sich um ein Wortspiel rund um das Trinkritual des Salamanders dreht.

„Lurchi“ als Minnesänger

„Ich denke dein, mein Lieb,
bei Tag und Nacht.
Weiß wohl, was Dich
so schön und zaubrisch macht,
Dein flinker Fuß im Salamander-Schuh
raubt mir die Ruh!“

Der frühe „Lurchi“ war nicht nur hinter den Frauen her, sondern auch sehr musikalisch. Neben der Harfe spielt er auch die Gitarre, was er in dieser Woche unter beweis stellte. Wie ein Minnesänger oder wie Romeo und Julia in der berühmten Balkonszene schmachtet er die begehrte Dame am Fenster an. „Lurchi“ nährt weiter das Narrativ, dass der Salamaner-Schuh die holde Weiblichkeit begehrlich macht. Es ist das erste Mal, dass er in einer Szenerie gemalt wird, nämlich in der Altstadt, wo er etwas wie ein hoffnungslos unerhörter Straßenmusikant wirkt. Es ist auch die einzige Anzeige, in der „Lurchi“ selbst Schuhe trägt. Das mag daran liegen, dass die Angebetete nur als winzige Andeutung in der Ferne erblickt werden kann. Man kann sich an eine Mischung des Gestiefelten Katers und der Bremer Stadtmusikanten erinnert fühlen oder an Walter…, Entschuldigung „Lurchi von der Vogelweide“.

„Lurchi“ packt die Wanderlust

„Nun regt in jeder Burschenbrust
Der junge Mai die Wanderlust
Zieh aus ins grüne Feld!
Wie wirst du heiter wandern
In deinen Salamandern
Wohl durch die weite Welt!“

These Boots are made for Walking! Fröhlich und frei wandert Lurchi in den Mai, so wie es damals üblich war. Die Wanderlust ist heute weltweit ein Begriff und es ist schön den Salamander in die Natur zurückkehren zu sehen. Sein Wandergeselle und er tragen große Wanderrucksäcke mit der Brotzeit darin. Der Lurch geht am Wanderstock und beide Männer rauchen Pfeife.

Vater Salamander (Heft 1, 1936, Lorenz Pinder)

Ein Hinweis darauf, dass diese frühe Interpretation des Lurchis eben nicht Lurchi ist. Der raucht Jahrzehnte später höchstens Mal die Friedenspfeife mit Indianern bei seinem Rundflug um die Welt (Heft 4). Lurchis Vater hingegen wird tatsächlich Zigarette rauchend gezeigt. Sind wir in der Anzeigenserie also auf seinen Spuren? Man wird es kaum sagen können. Auch um 1912 taucht noch einmal ein Zigarre rauchender Salamander auf einer der Reklamemarken der Schuhmarke auf. Der „Lurchi“ geriert sich jedoch in allen Dingen als richtiger Mann. Wenn er nicht den Damen nachstellt oder in der Burschenschaft unterwegs ist, macht er einen Männerausflug. Interessanterweise trägt er trotz Wandervorhaben auch hier wieder keine Schuhe, obwohl wir ihn in der Vorwoche in Stiefeln beim Freien gesehen haben. Der Vers aus dieser Werbung wurde 1988 auch von Karl Graak in seinem Buch „Wirb oder stirb: 100 Jahre Lyrik in der Werbung“ aufgegriffen und mit einem anderen Salamander-Werbetext des Jahres 1980 verglichen.

„Lurchi“ tanzt in den Mai

„Der Frühling lockt und ruft zum Ringelreihen
Und alles tanzt und jubelt: Es ist Maien.
Stolz dreht sich heisa-hopsa wie ein Pfau
in Salamander-Stiefeln Mann und Frau!“

Dieses Mal bringt Lurchi junge Paare zum Tanz zusammen und wieder einmal beweist sich, dass er ein Meister der Instrumente ist. Auf einer Flöte gibt er den Ton an, zu dem die beiden jungen Paare in den Mai tanzen. Das geht von der Werbebotschaft in eine ähnliche Richtung wie die Wanderung. Nachdem zunächst das Modische abgehandelt wurde, geht es in dieser Woche wie schon in der vorherigen um Bequemlichkeit und Haltbarkeit der Salamander-Schuhe. Lurchi ist in dieser Anzeige deutlich kleiner als die Menschen dargestellt. Was auf den ersten Blick aussieht, als säße er Flöte spielend auf den Armen der Tanzenden, ist jedoch wohl als Perspektive und Entfernung gedacht. Es ist die einzige Anzeige, bei der Lurchi mit einer Gruppe von Menschen mittelbar interagiert.

„Lurchi“ als Flaneur

„Männer einer wie der ander,
Tragen alle Salamander.
Und der Frauen zarter Tritt
Salamandert fröhlich mit!“

Lurchi flaniert über den Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin und beobachtet genau die feine Gesellschaft der Hauptstadt. Dafür ist er neben seinem Gehstock mit einem kleinen Opernglas ausgestattet, das ihm einen genauen Blick auf das Schuhwerk der Spaziergänger ermöglicht, auch wenn diese in einigem Abstand von ihm unterwegs sind. Die Botschaft lautet: Der neue Modetrend aus Berlin sind die Salamander-Schuhe. Die gereimten Verse, die dieses Mal gedruckt und nicht handgeschrieben sind, sind auf dem einfallslosen Tiefpunkt der Serie und auch die Zeichnung wirkt eher grob und einfallslos. Immerhin hat der Dichter ein neues Wort erschaffen: Das Verb „salamandern“ für Laufen in Salamander-Schuhen. Somit kann auch diese nicht ganz so gelungene Anzeige mit einem Highlight aufwarten.

„Lurchi“ und das Automobil

„Nun jagt zur frohen Fahrt hinaus!
Wo ihr erscheint sagt jedermann:
Sie sind aus einem feinen Haus
Sie haben Salamander an“

Lurchi überreicht einer Dame, die mit Fahrer in einem Automobil unterwegs ist, um aus der Stadt zu fahren, eine Blume zum Abschied. Es wirkt, als wolle sie einen Ausflug ins Umland übernehmen und um dort besonders städtisch und mondän zu wirken, lohnt es wieder einmal, auf Salamander-Schuhe zu setzen. Die Szene erinnert stark an eine Künstlerkarte, die Salamander um 1912 herausbrachte, die ebenfalls eine Frau in ein Auto einsteigend zeigt. Das Automobil steht dabei 1909 noch für technologischen Fortschritt und die gut betuchte Gesellschaft, denn nicht jeder konnte sich einen fahrbaren Untersatz leisten.

Werte, die durch die motivische Kombination von dem Gefährt auf das Schuhwerk übertragen werden sollten. Die Reime bleiben auch in dieser letzten Anzeige allerdings leiter holprig und einfallslos. Der „Lurchi“ wirkt monströs und unförmig, ganz anders als in seinen ersten Reklame-Auftritten und auch im starken Kontrast zur ansonsten sehr fein gezeichneten Szene mit dem Automobil.

Gezeichnet war dieser frühe Lurchi in allen Anzeigen noch sehr naturalistisch mit kurzen Salamander-Beinchen und einem gedrungenen Körper und einem echsenartigen Kopf. Die Zeichenweise erinnert an frühe Tierfabeln, in denen die Tiere sich aufrichten und ist weit von den humanisierten Darstellungen heutiger Zeiten entfernt. Ob alle acht Bilder aus der gleichen Feder stammen, kann nicht eindeutig ermittelt werden, da der Werbegrafiker leider ungenannt geblieben ist. Die ersten vier Zeichnungen erscheinen in jedem Fall gelungener als die letzten vier.

„Lurchi“ Reklamen sammeln

Heute sind die Zeitungsauschnitte mit dem Salamander des frühen 20. Jahrhunderts begehrte Sammlerstücke unter Lurchifans und auch die Zeitung Jugend wird gut gehandelt. Mit 10 bis 12 Euro schlagen die Reklamen zu Buche. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Reklame ausgeschnitten ist oder die Seite komplett erhalten.

Einzelhefte der Zeitschrift Jugend kann man ab 5 Euro ersteigern; die betreffenden Hefte aus dem Jahr 1909 sind allerdings selten und erzielen 15 bis 20 Euro. Im Sinne des Erhalts antiquarischer Schriften kann auch nur empfohlen werden, vollständig erhaltene Hefte nicht zu zerschneiden, sondern der Nachwelt als Ganzes zu erhalten.

Schließlich gibt es die Jugend-Reihe auch als Sammelbände der Zeit, wobei die Jahrgänge als zwei Bände (Heft 1 bis 26 und Heft 27 bis 52) gebunden sind. Für komplette Jahrgänge muss man 100 bis 150 Euro einplanen. Halbjahresbände bekommt man für 50 bis 60 Euro, so auch diesen Band 1909-1.

Jugend 1909 (Heft 14 bis 21) mit „Lurchi“


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Quellen und weiterführende Literatur

  • Eigene Sammlung und Recherchen
  • „Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“, Jahrgang 1909, München, Nr. 14-21
  • Ingo Neumayer: „Studentenverbindungs-Glossar: Buxe, Vollwichs und Co.“ auf der Website „Planet Wissen“, abgerufen am 05.02.2022
  • Salamander AG: „Lurchis Abenteuer“ mit Text von Alex Haffner und Illustrationen von Lorenz Pinder, Heft 1, S.1
  • Karl Graak: „Wirb oder stirb – 100 Jahre Lyrik in d. Werbung. Die schöne Kunst der Selbstdarstellung“ (1988), Datakontext-Verlag (Köln), 149 Seiten ; hier insbesondere Kapitel XI „Bekleidung – Gestern, morgen heute, Kleider machen Leute“, S. 119-126

Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!


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